Manfred Börgens
Mathematik auf Briefmarken  # 119
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Marke Ross Indien

Ronald Ross

Indien 1997   Michel 1564


Mathematiker, die einen Nobelpreis gewonnen haben

Bekanntermaßen gibt es keinen Nobelpreis für Mathematik  -  statt dessen werden der Abel-Preis, die Fields-Medaille und andere Auszeichnungen verliehen. Aber zahlreiche Mathematiker haben einen Nobelpreis erhalten. Alle Preise außer dem Friedensnobelpreis gingen bereits an Mathematiker, also für Physik, Chemie, Medizin, Literatur und Wirtschaft. In einer losen Reihe sollen diese Preisträger hier von Zeit zu Zeit vorgestellt werden.

Naturgemäß haben die Mathematiker, die einen Nobelpreis verliehen bekamen, weitere Meriten in einem anderen Gebiet erworben. Oft handelt es sich um Wissenschaftler, die sich nach ihrem Mathematikstudium einem naturwissenschaftlichen Anwendungsgebiet zugewandt haben. Am häufigsten findet man jedoch Mathematiker unter den Preisträgern des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften.

In diese Reihe sollen auch Wissenschaftler aufgenommen werden, die aus anderen Disziplinen stammen, aber wichtige Beiträge für die Mathematik geliefert haben.

Die Reihe ist dadurch limitiert, dass es nicht von allen Nobelpreisträgern Briefmarken gibt. Aber erfreulicherweise kommen immer noch neue hinzu.
  Nobel
  Südafrika 1996   Michel 1027   Scott 955c
        →   Folge 1   Russell   (Literatur)
        →   Folge 2   Bardeen   (Physik)
        →   Folge 3   Tinbergen   (Wirtschaft)
        →   Folge 4   Cormack   (Medizin)
        →   Folge 5   Lorentz   (Physik)
        →   Folge 6   Solschenizyn   (Literatur)
        →   Folge 7   Echegaray   (Literatur)
        →   Folge 8   Einstein   (Physik)
        →   Folge 9   Penrose   (Physik)



Folge 10    Ronald Ross
            (1857 - 1932, Nobelpreis für Medizin 1902)


100 Jahre nach seiner Entdeckung des Übertragungsweges der Malaria ehrte die indische Post Ronald Ross mit der oben gezeigten Briefmarke. Ross wurde in Indien geboren und arbeitete dort 16 Jahre lang als Tropenarzt. In diese Zeit fielen seine wichtigsten Forschungen und Erkenntnisse über die Malaria.

Ronald Ross war ein Kind eines britischen Generals, der in Diensten der indischen Kolonialverwaltung stand. Mit acht Jahren wurde er zu Verwandten nach England geschickt. Er war sehr vielseitig interessiert und entwickelte eine Leidenschaft für Mathematik; mit 14 Jahren gewann er einen Mathematik-Preis.

Mit 18 Jahren nahm Ross auf Betreiben seines Vaters ein Medizinstudium in London auf. Nach dem Studium wurde er 1881 vom Indian Medical Service eingestellt. Er blieb bis 1899 in Indien, mit zwei je einjährigen Unterbrechungen für Studien und Urlaub in England.

Ronald Ross' Hauptinteresse galt ab 1895 der Malaria, die bis heute eine der am meisten verbreiteten Krankheiten ist und die oft tödlich verläuft. Im britischen Kolonialreich stellte sie eine ernsthafte Bedrohung für Einheimische und Besatzer dar. Ross forschte über Ursachen, Ausbreitungswege und Prophylaxe der Malaria. Seine größte Leistung gelang ihm 1897 durch den Nachweis, dass die Malaria durch die weibliche Anopheles-Mücke übertragen wird, in deren Magen er den Malaria-Erreger gefunden hatte. 1902 erhielt Ronald Ross dafür den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.

Nach seiner Rückkehr nach England wurde Ross Professor für Tropenmedizin in Liverpool. Er setzte sich für Malariaprophylaxe in zahlreichen Ländern ein. Eine hohe Ehre war die Gründung des nach ihm benannten Ross Institute and Hospital for Tropical Diseases in London.  –  Seit seiner Rückkunft aus Indien schrieb Ross zahlreiche Publikationen, u.a. zu seinen Malaria-Forschungen, die er in Liverpool und London fortführte  –  siehe dazu auch den nächsten Abschnitt.

Ronald Ross als Mathematiker

Ross war kein professioneller Mathematiker, aber man könnte ihn als nebenberuflichen passionierten Mathematiker bezeichnen. Er hat etwa 20 mathematische Publikationen verfasst. Neben seinem Hauptberuf als Mediziner widmete er sich in etwa einem Dutzend von in Fachzeitschriften veröffentlichten Aufsätzen sowie in Büchern Problemen der reinen Mathematik (u.a. in The Solution of Equations by Iteration, Solid Space Algebra, The Operative Roots of the Circle Function). Paul Fine schrieb über Ronald Ross ([1], übersetzt):

Ross hatte eine bemerkenswerte Neigung: eine Leidenschaft für Mathematik. Diese pflegte er seit seiner Schulzeit und sie war seine stete Begleiterin sein ganzes Leben hindurch; er interessierte sich für Mathematik nicht nur zu seinem Vergnügen, sondern sehr ernsthaft. Schon bald nach seinem Erfolg in Indien und seiner Rückkehr nach Großbritannien schrieb er die erste von mehreren Veröffentlichungen in reiner Mathematik, "The Algebra of Space".

Wichtiger für sein Renommee als Forscher in der Medizin waren jedoch seine Veröffentlichungen in der angewandten Mathematik, nämlich zur Pathometrie. Darunter versteht man die mathematische Modellierung für die Ausbreitung von Epidemien. 1904 und 1908 machte Ross erste Versuche, epidemiologische Vorgänge mathematisch zu erfassen. 1911 folgten dann umfangreichere Arbeiten zu diesem Thema, in denen Ross erstmals Differenzengleichungen zur Beschreibung der Krankheitsausbreitung einsetzte. Schließlich ging Ross von zeitdiskreten zu stetigen Abläufen über und beschrieb 1917 Epidemien mittels Differentialgleichungen. Dies kann man genauer bei Paul Fine in [1] nachlesen.

Seine mathematische Arbeit von 1917 zur Modellierung der Verbreitung von Epidemien mit Methoden der Analysis verfasste er in Kooperation mit der Mathematikerin Hilda Phoebe Hudson aus Cambridge; ihr wird weiter unten ein eigener Abschnitt gewidmet. Ross' Modelle werden bis heute in der Epidemiologie angewendet. Dazu hat beigetragen, dass George MacDonald 1957 an die Arbeiten von Ross anknüpfte und ein erweitertes System von Differentialgleichungen zur Beschreibung von Epidemien angab, das man heute das Ross-MacDonald-Modell nennt.

Obwohl Ronald Ross akademische Anerkennung erfuhr und mehrere Preise für seine Forschungsarbeiten erhielt, war er höchst unzufrieden mit der Bekämpfung der Malaria durch das britische Gesundheitswesen in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Er beobachtete und kritisierte, dass hohe Summen für die Folgeschäden der Krankheit ausgegeben wurden, während keine nennenswerten Mittel für die Prävention bereitgestellt wurden. Darin sah er  –  als durchaus streitbarer Zeitgenosse  –  eine Missachtung seiner konkreten Vorschläge zur Malariaprophylaxe. Er mochte nicht hinnehmen, dass seine Mathematik unabweisbare Konsequenzen für den Umgang mit der Malaria nach sich ziehen musste, dies aber auf der gesundheitspolitischen Ebene zunächst weitgehend ignoriert wurde.

Hilda Phoebe Hudson (1881 - 1965)

Hilda Hudson schrieb 1917 gemeinsam mit Ronald Ross An Application of the Theory of Probabilities to the Study of a priori Pathometry und gilt damit als eine Pionierin der mathematischen Grundlegung der Epidemiologie.

Sie war eine der wenigen Frauen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts Anerkennung in der akademischen Mathematik erlangten. Dennoch erfuhr sie die zu dieser Zeit üblichen gravierenden Benachteiligungen für Frauen.

Hudson studierte von 1900 bis 1905 Mathematik in Cambridge und Berlin. In Cambridge erreichte sie den Rang 7th Wrangler, wurde aber nicht in die offizielle Liste der Jahrgangsbesten aufgenommen, weil dies nur Männern vorbehalten war.

Von 1905 bis 1917 arbeitete Hilda Hudson als Lecturer und zeitweise als Research Fellow am Newnham College in Cambridge, in Bryn Mawr in den USA (beides reine Frauen-Colleges) und am West Ham Technical Institute in London. 1912 nahm sie am Weltkongress der Mathematik in Cambridge teil; ihr Wikipedia-Eintrag bezeichnet sie als Invited Speaker, aber glaubwürdiger ist wegen der damaligen Diskriminierung von Frauen in der Wissenschaft der folgende (übersetzte) Eintrag im MacTutor History of Mathematics Archive: In der Teilnehmerliste wird Hilda Hudson als Begleiterin ihres Vaters Professor W.H.H. Hudson geführt, aber tatsächlich hielt sie als einzige Frau einen Kongressvortrag.

Nach 1917 hatte Hilda Hudson keine akademischen Positionen mehr inne. Von 1917 bis 1923 arbeitete sie als Mathematikerin an aeronautischen Problemen, zunächst bei der britischen Air Force, danach bei einem Flugzeughersteller in Bristol.

In den folgenden Jahren zog sie sich als Privatgelehrte zurück und schrieb das 454 Seiten starke Buch Cremona Transformations in Plane and Space. Dieses Standardwerk der Algebraischen Geometrie wurde 1927 veröffentlicht. Ihre letzte mathematische Publikation war 1929 ein Kapitel für die Encyclopaedia Britannica über Analytic geometry, curve and surface.




Es folgen Abbildungen vom Ersttagsbrief der indischen Briefmarke sowie zwei weitere Marken aus Nobelpreis-Serien mit Portraits von Ronald Ross.

FDC Ross Indien

Indien 1997   Ersttagsbrief   Michel 1564

Marke Ross Schweden       Marke Ross Guinea-Bissau

Schweden 1962   Michel 500A   Scott 617                                   Guinea-Bissau 2009   Michel 4238



Literatur:

[1]  Paul E. M. Fine: Ross's a priori Pathometry - a Perspective, Proc. R. Soc. Med. vol. 68(9), Sept. 1975


Publiziert 2022-05-01          Stand 2020-06-04


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