Manfred Börgens
Mathematik auf Briefmarken  # 36
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Briefmarke des Monats Dezember 2003

Briefmarke mit Zirkel und Lineal   Portugal 2002

  Michel 2594



Zirkel und Lineal

Auf der Briefmarke stehen Zirkel und Winkelmaß als Symbole der Freimaurer. Das Winkelmaß dient dem Maurer sowohl als Lineal als auch zum Abmessen rechter Winkel. Portugal hat diese Marke dem 200-jährigen Bestehen der Freimaurerloge Grande Oriente Lusitano gewidmet. Im Hintergrund sieht man den Sitz der Loge in Lissabon.

Konstruktionen mit Zirkel und (unmarkiertem) Lineal bilden das Grundarsenal für die ebene Geometrie. In der Antike standen diese Konstruktionen im Mittelpunkt des Interesses, was man schon an den Axiomen und Postulaten des Euklid erkennen kann. Beispiele für Konstruktionen mit Zirkel und Lineal sind die Teilung von Strecken in mehrere gleiche Teile, die Halbierung von Winkeln, eine Vielzahl von Dreieckskonstruktionen aus z.B. vorgegebenen Seiten, Höhen oder Winkeln, die Findung des Mittelpunktes eines Kreises und viele mehr.


Die "klassischen" Probleme

Die Griechen stießen an die Grenzen dessen, was sich mit Zirkel und Lineal konstruieren lässt. Einige Probleme hatten es ihnen besonders angetan, insbesondere die "drei klassischen Grundprobleme":

Alle drei Probleme erwiesen sich als nicht lösbar. Mit Zirkel und Lineal ist es weder möglich, zu einem beliebigen Kreis ein flächengleiches Quadrat zu konstruieren, noch beliebige Winkel exakt zu dritteln, noch bei bekannter Seitenlänge eines Würfels die Seitenlänge des Würfels mit doppeltem Volumen zu konstruieren.

Ein viertes Problem gehört ebenfalls in diese Problemklasse:

Bei diesem Problem gab es immerhin Teilerfolge. Mit Zirkel und Lineal konnte man bereits in der Antike regelmäßige Dreiecke, Vierecke und Fünfecke konstruieren, wobei die keineswegs einfache Konstruktion des regelmäßigen Fünfecks eine bemerkenswerte Leistung der griechischen Mathematiker war. Mit Hilfe der Dreiecks- und Fünfeckskonstruktion gelang es auch, regelmäßige Fünfzehnecke zu konstruieren. Weil sich die Mittelpunktswinkel der n-Ecke leicht halbieren ließen, stellte auch die Konstruktion von regelmäßigen 2n-Ecken keine Schwierigkeit dar, wenn das regelmäßige n-Eck konstruierbar war. Dennoch widerstanden etliche regelmäßige n-Ecke allen Konstruktionsversuchen: Für  n = 7, 9, 11, 13, 14, 17, 18, 19, 21, ...  fand man keine Lösung.

Welche Fortschritte hat die Mathematik für die vier genannten Probleme seit der Antike erzielt? Erstaunlicherweise hat es bis zum 19. Jahrhundert gedauert, bis bewiesen werden konnte, dass die drei klassischen Probleme prinzipiell unlösbar sind. Bis heute versuchen sich aber mathematische Laien unverdrossen an diesen Problemen und präsentieren unermüdlich immer neue (falsche) Lösungen; Kreisquadrierer, Trisektierer und Würfelverdoppler sind der Schrecken jedes mathematischen Instituts auf diesem Globus.

Ein Vorbote des neuzeitlichen Durchbruchs bei den Zirkel-und-Lineal-Problemen war die Konstruktion des regelmäßigen 17-Ecks durch den jungen Carl Friedrich Gauß im Jahr 1796. Diese Leistung stellte die erste bedeutende Erweiterung der Geometrie seit der Antike dar. Sie wird auf der Briefmarke des Monats April 2003 gewürdigt und wird dort ausführlich kommentiert. Innerhalb von knapp 100 Jahren nach Gauß' Entdeckung gelang dann die vollständige Behandlung der antiken Grundprobleme. Basis dafür war die Erkenntnis, dass zu den Zirkel-und-Lineal-Konstruktionen bestimmte algebraische Konstruktionen äquivalent sind. Die Grundlagen dafür erarbeitete Evariste Galois 1831. Pierre Laurent Wantzel konnte 1836 genau angeben, welche regelmäßigen n-Ecke konstruierbar sind, und er lieferte 1837 den Beweis für die Unmöglichkeit der Winkeldreiteilung und der Würfelverdopplung. 1882 bewies Ferdinand von Lindemann, dass die Quadratur des Kreises mit Zirkel und Lineal nicht möglich ist.

Wie kamen diese Erkenntnisse zustande? Wo liegt der Zusammenhang zwischen Geometrie und Algebra, der im 19. Jahrhundert gefunden wurde und die Behandlung von Problemen ermöglichte, die weit über 2000 Jahre alt waren? Die Antwort auf diese Fragen ist darauf zurückzuführen, dass man mit Zirkel und Lineal nicht nur Geraden, Kreise und Schnittpunkte konstruieren kann, sondern auch Zahlen. Dies wird im nächsten Abschnitt beschrieben.


Konstruierbare Zahlen

Welche Zahlen lassen sich nur mit Zirkel und Lineal auf der reellen Zahlengeraden markieren, wenn zunächst nur die Zahlen 0 und 1 markiert sind? (Solche Zahlen heißen "konstruierbar".) Einfach sind offenbar die ganzen Zahlen; sie lassen sich durch Mehrfachabtragen der Einheitsstrecke markieren. Mit elementaren geometrischen Verfahren lässt sich zeigen, dass Produkte und Quotienten von konstruierbaren Zahlen konstruierbar sind. Deshalb sind alle rationalen Zahlen konstruierbar. Es gibt darüber hinaus noch weitere konstruierbare Zahlen: Auch die Konstruktion von Quadratwurzeln konstruierbarer Zahlen ist geometrisch leicht durchführbar. Mehr ist aber nicht erreichbar:

Den geometrischen Konstruktionen mit Zirkel und Lineal entsprechen diejenigen reellen Zahlen, die sich aus der Zahl 1 in endlich vielen Schritten durch Anwendung der vier Grundrechenarten und des Ziehens von Quadratwurzeln erzeugen lassen.

Das bedeutet, dass z.B. die Nullstellen von Polynomen 2. Grades mit rationalen Koeffizienten mit Zirkel und Lineal konstruierbar sind.

Die drei klassischen Probleme der Antike sind unlösbar: Für die Würfelverdopplung wird die dritte Wurzel von 2 benötigt, und diese ist nicht konstruierbar. Bei der Dreiteilung von Winkeln stößt man auf ein Polynom 3. Grades, in dessen Lösungen (außer in Spezialfällen wie etwa 90°) wieder Kubikwurzeln auftreten, die sich nicht als konstruierbare Zahlen darstellen lassen. Für die Quadratur des Kreises benötigt man die Quadratwurzel von Pi; Lindemann wies aber nach, dass Pi keine algebraische Zahl ist, d.h. nicht als Lösung einer Polynomgleichung mit rationalen Koeffizienten vorkommt und daher insbesondere nicht konstruierbar ist.

Für die Konstruktion des regelmäßigen n-Ecks greifen ähnliche Überlegungen. Gauß und Wantzel konnten zeigen, dass der Konstruierbarkeit eines n-Ecks die Konstruierbarkeit der Lösungen bestimmter rationaler Polynomgleichungen entspricht. Nur in ganz bestimmten Fällen ist dies erfüllt, nämlich wenn  n = 2k · p1 · ... · pr  mit verschiedenen Fermat'schen Primzahlen  pi  (siehe Briefmarke des Monats April 2003).




Konstruierbare Zahlen und die klassischen geometrischen Probleme

Kategorie: Zahlen und Zahlsysteme, Berechnung von π



Stand 2007-09-11
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