Manfred Börgens
Mathematik auf Briefmarken  # 29
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Briefmarke des Monats April 2003

Briefmarke mit Portrait von Gauss, 17-Eck, Zirkel, Lineal   DDR 1977

  Michel 2215
  Scott 1811



Carl Friedrich Gauß (1777 - 1855)
mit 17-Eck, Lineal und Zirkel

Die DDR hat diese Briefmarke anlässlich des 200. Geburtstags von Carl Friedrich Gauß herausgegeben. Auch hier wird sie zu seinem Geburtstag, dem 30. April, gezeigt. Ungewöhnlich ist, dass Gauß als junger Mann porträtiert ist, aber das hat einen besonderen Grund: Auf der Marke ist ein regelmäßiges  17-Eck abgebildet, und Gauß bewies schon als 19-jähriger, dass die Konstruktion dieses Polygons nur mit Zirkel und (unmarkiertem) Lineal möglich ist.
(Im folgenden ist "Konstruktion" immer in diesem Sinne gemeint.)

Gauß war auf diese Entdeckung sehr stolz, denn sie stellte den ersten Fortschritt auf dem Gebiet der regelmäßigen  n-Ecke seit der Antike dar.
(Im folgenden wird kurz "n-Eck" für "regelmäßiges  n-Eck" geschrieben.)

Welche  n-Ecke konnte man vor Gauß konstruieren? Im Wesentlichen waren das lediglich Dreieck, Viereck (Quadrat) und Fünfeck. Diese "klassischen" Konstruktionen beruhten auf der Kenntnis, wie man die zugehörigen Winkel von  60°, 90°, 108°  konstruiert; äquivalent dazu ist die Konstruktion der zugehörigen Mittelpunktswinkel  120°, 90°, 72° . Das ist für das Fünfeck (siehe Skizze) nicht ganz einfach (Konstruktionsanleitung).

5-Eck mit Aussenwinkel 108 Grad, Innenwinkel 72 Grad


Für ein  n-Eck gilt allgemein:
Eckwinkel  = ( 1 - 2/n ) · 180°,  Mittelpunktswinkel  = 360°/ n

Aus Dreieck, Viereck und Fünfeck gewinnt man leicht eine Vielzahl anderer  n-Ecke. Indem man die Mittelpunktswinkel von Dreieck und Fünfeck überlagert, erhält man ihre Differenz  48°,  durch Halbierung dieses Winkels  24° und auf diese Weise ein  15-Eck mit Eckwinkel  156°. Durch (wiederholte) Halbierung der Mittelpunktswinkel ließen sich somit (schon seit der Antike)  n-Ecke für folgende  n  konstruieren:

n = 3, 4, 5, 6, 8, 10, 12, 15, 16, 20, 24 usw.

Aber in dieser Zahlenfolge fehlen wichtige Fälle wie  n = 7, 9, 11 usw.

Gauß bewies 1796, dass  3  und  5  Spezialfälle einer allgemeinen Regel sind: Ist  n  eine "Fermat'sche Zahl", d.h. von der Form

n = (2 hoch (2 hoch k)) +1

für eine ganze Zahl  k ,  und ist  n  außerdem eine Primzahl, so lässt sich ein  n-Eck konstruieren. Gauß war also der erste, der die Möglichkeit einer solchen Konstruktion für  n = 17, 257, 65537  (alles Fermat'sche Primzahlen) nachweisen konnte.
Man kennt auch konkrete  -  mit wachsendem  n  aufwändigere  -  Konstruktionsvorschriften für diese  n-Ecke.

Analog zum  15-Eck gilt auch hier, dass man durch Multiplikation verschiedener Fermat'scher Primzahlen weitere Zirkel-und-Lineal-Konstruktionen erhält, also z.B. für  n = 51 ( = 3·17 )  oder für  n = 255 ( = 3·5·17 ) .
Denn man weiß aus der Zahlentheorie, dass es für zwei teilerfremde natürliche Zahlen  n1, n2  immer ganzzahlige Faktoren  a1, a2  gibt mit  a1·n1 + a2·n2 = 1  ,  woraus  a2/n1 + a1/n2 = 1/(n1·n2)  folgt. Kann man also das  n1-Eck und das  n2-Eck konstruieren, so erhält man auf diese Weise mit Hilfe der Mittelpunktswinkel das  (n1·n2)-Eck. Will man etwa das  51-Eck konstruieren  ( n1 = 3, n2 = 17 ) ,  so sind  a1 = 6, a2 = -1 ,  also bildet man die Differenz des  6-fachen Mittelpunktswinkels des  17-Ecks und des Mittelpunktswinkels des Dreiecks:  ( 6/17 - 1/3 )·360° = ( 1/51 )·360° . Dieses Verfahren lässt sich für mehr als zwei teilerfremde Faktoren fortsetzen, z.B. für  n = 255 = 5·51 ( = 5·3·17 ) .

Außerdem lassen sich die Mittelpunktswinkel fortgesetzt halbieren; also folgt aus der Konstruierbarkeit des  n-Ecks auch die des  (2k·n)-Ecks.

Pierre Laurent Wantzel bewies 1836, dass auch die Umkehrung der Gauß'schen Entdeckung gilt, nämlich dass aus der Konstruierbarkeit des regelmäßigen  n-Ecks folgt, dass die Primfaktorzerlegung von  n  nur eine Potenz von  2  und verschiedene Fermat'sche Primzahlen enthält.

Also lässt sich ein  n-Eck genau dann konstruieren, wenn

n = 2k·p1·...·pr

mit verschiedenen Fermat'schen Primzahlen  pi .

Ist damit das Problem der Konstruierbarkeit von  n-Ecken gelöst?
Nein.

Denn niemand weiß, ob es über die fünfte Fermat'sche Primzahl

n = (2 hoch (2 hoch 4)) +1 = 65537

hinaus weitere Fermat'sche Primzahlen gibt.
Die nächsten 28 folgenden Fermat'schen Zahlen

n = (2 hoch (2 hoch k)) +1 fuer k=5...32

sind (bis 2003) als nicht-prim nachgewiesen worden; für  k = 33  weiß man es nicht (Stand 10/2015; über den aktuellen Stand der Suche nach Fermat'schen Primzahlen kann man sich hier informieren).

Man kennt 32 "Grundkonstruktionen" für  n-Ecke, aus denen alle anderen durch (fortgesetzte) Verdoppelung der Eckenzahl hervorgehen. Sie kommen durch Multiplikation der bekannten Fermat'schen Primzahlen zustande, unter Hinzunahme von  n = 4 :

            3
            4
            5
           15
           17
           51
           85
          255
          257
          771
        1.285
        3.855
        4.369
       13.107
       21.845
       65.535
       65.537
      196.611
      327.685
      983.055
    1.114.129
    3.342.387
    5.570.645
   16.711.935
   16.843.009
   50.529.027
   84.215.045
  252.645.135
  286.331.153
  858.993.459
1.431.655.765
4.294.967.295


Für genau 24 Zahlen  n  unter  100  lässt sich ein  n-Eck konstruieren:

3, 4, 5, 6, 8, 10, 12, 15, 16, 17, 20, 24, 30, 32, 34, 40, 48, 51, 60, 64, 68, 80, 85, 96


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Kategorie: Zahlen und Zahlsysteme, Berechnung von π


Stand 2015-10-12
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