Dodekaeder    MB Matheblog # 26 Inhalt Blog
voriger Eintrag    nächster Eintrag
zur Leitseite
Index der gesamten Website


2023-05-10


Quality Control:  Ertragsoptimale Stichprobenpläne                    Kommentare sind willkommen.


Dies ist der zweite Beitrag in diesem Blog zum Qualitätsmanagement; im ersten ging es um die  Prüfung ausgewählter Komponenten.


Die Annahmezahl \(~c~\) in der Stichprobenprüfung

Ein wesentliches Element des Qualitätsmanagements ist die Ziehung von Stichproben aus produzierten Chargen gleichartiger Produkte, die wir Lose nennen. In den Stichproben werden defekte Stücke (z.B. bei Schrauben oder Tabletten) oder Fehler (z.B. bei Geweben oder Kabeln) gezählt, deren Anzahl wir mit \(~i~\) angeben.

(1)  Die Annahmezahl \(~c~\) steht für die folgende Anweisung: Akzeptiere das Los (zur Auslieferung), falls in der Stichprobe \(~i \le c~\) ist.

Lose werden also genau dann angenommen und ausgeliefert, wenn die Ausschusszahl in der Stichprobe maximal \(~c~\) beträgt. \(~c~\) wird häufig nach DIN ISO 2859 gewählt. Diese Norm ist jedoch in vielen Fällen nicht hilfreich, da sie lediglich eine hohe Annahmewahrscheinlichkeit für Lose garantiert, deren Qualitätslage nicht schlechter als ein vorgegebener Wert ist; Ertragsgesichtspunkte lassen sich damit nicht zufriedenstellend abbilden.


Vierfeldertafel

\(A~\) und \(~Z~\) sollen die Fälle beschreiben, in denen das Los angenommen bzw. zurückgewiesen wird. Es gilt also nach (1):

\(Z = \neg A~~~\) mit \(~~~A~~\leftrightarrow~~i \le c~~~\) und \(~~~Z~~\leftrightarrow~~i \gt c~\)

\(G~\) und \(~S~\) sollen die Fälle beschreiben, in denen das Los gut ist (d.h. den Qualitätsanforderungen genügt) bzw. schlecht ist (Reklamationsfall). Hersteller und Kunden sollten  –  z.B. im Rahmen einer Qualitätssicherungsvereinbarung  –  festlegen, wann ein Los von akzeptabler Qualität ist \(~(G)~\) und wann nicht \(~(S)~\).

Jede der vier Kombinationen \(~G \wedge A~\), \(~S \wedge A~\), \(~G \wedge Z~\), \(~S \wedge Z~\) führt zu "Erträgen" für den Hersteller, wobei negative Erträge als Kosten zu Buche schlagen. Diese Erträge lassen sich in einer Vierfeldertafel aufschreiben:

\(\begin{array}{|c|c|c|} \hline & G & S\\ \hline A & E_{GA} & E_{SA}\\ \hline Z & E_{GZ} & E_{SZ}\\ \hline \end{array}\)

      mit \(~~E_{GA}~\gt~E_{GZ}~~\) und \(~~E_{SA}~\lt~E_{SZ}~~\) (naheliegend)

Dies soll anhand eines Beispiels verdeutlicht werden:

\(\begin{array}{|c|c|c|} \hline & G & S\\ \hline A & 200 & -6000\\ \hline Z & -120 & -120\\ \hline \end{array}\)

Links oben stehen \(~200~\)¤ für den Verkaufspreis des Loses. Dieser ist nur zu erzielen, wenn das Los nach der Stichprobenprüfung akzeptiert wird \(~(A)~\) und den Qualitätserwartungen des Kunden genügt \(~(G)\).  –  Rechts oben stehen die Kosten \(-6.000~\)¤ für den worst case, nämlich Auslieferung eines nicht akzeptablen Loses, was u.a. zu Reklamationen oder Vertragsstrafen führt.  –  Die beiden unteren Felder in der Tabelle zeigen die Kosten \(-120~\)¤, die dem Betrieb durch die Zurückweisung eines Loses entstehen \(~(Z)\).


Bestimmung von \(~c\)

Wir suchen nun den ertragsoptimalen Wert von \(~c~\). Dazu muss bekannt sein, mit welcher Wahrscheinlichkeit \(~G~\) bzw. \(~S~\) auftreten, wenn man genau \(~i~\) defekte Stücke oder Fehler in der Stichprobe gefunden hat.

(2)  \(p(G|i)~~\) und \(~~p(S|i)~~\) sind die Wahrscheinlichkeiten, dass sich das gesamte Los als gut bzw. schlecht herausstellt, falls in der Stichprobe genau \(~i~\) defekte Stücke oder Fehler gefunden wurden.

Wegen \(S = \neg G~~\) ist \(~~p(S|i) = 1 - p(G|i)\).

Es wird unterstellt (und ist naheliegend), dass \(~p(G|i)~\) monoton fällt, d.h. \(~p(G|i)~\ge~p(G_~|_~i+1)~\).

Damit können wir berechnen, für welche \(~i~\) das Los nach der Stichprobennahme angenommen wird:

\(A~~~\leftrightarrow~~~p(G|i) \cdot E_{GA} + p(S|i) \cdot E_{SA}~\ge~p(G|i) \cdot E_{GZ} + p(S|i) \cdot E_{SZ}\)

Die linke Seite der Ungleichung gibt den erwarteten Ertrag im Fall der Annahme an; die rechte Seite den erwarteten Ertrag bei Zurückweisung.

\(A~~~\leftrightarrow~~~p(G|i) \cdot E_{GA} + (1-p(G|i)) \cdot E_{SA}~\ge~p(G|i) \cdot E_{GZ} + (1-p(G|i)) \cdot E_{SZ}\)

\(~~~~~~\leftrightarrow~~~p(G|i) \cdot (E_{GA}-E_{SA}-E_{GZ}+E_{SZ})~\ge E_{SZ}-E_{SA}\)

Damit erhalten wir:

(3)  Ein Los wird bei \(~i~\) defekten Stücken oder Fehlern in der Stichprobe angenommen \(~(A)~\),  falls gilt: \[p(G|i)~\ge~\frac{E_{SZ}-E_{SA}}{E_{GA}-E_{SA}-E_{GZ}+E_{SZ}}~=:~\gamma \in (0,1)\]

Der Kennwert \(~\gamma~\) liegt im Intervall \((0,1)\) wegen \(~E_{GA}~\gt~E_{GZ}~~\) und \(~~E_{SA}~\lt~E_{SZ}~\) (s.o.).

Mit (3) und der Monotonie von \(~p(G|i)~\) aus (2) erhalten wir \(~c~\):

(4)  \(c = \text{max}_~ \{_~i~|~p(G|i)~\ge~\gamma_~\}\)

Häufig lässt sich \(~p(G|i)~\) nur mit einer Voruntersuchung ermitteln, die allerdings im Rahmen eines umfassenden Qualitätsmanagements keinen zusätzlichen Aufwand verursachen dürfte. (Wir werden weiter unten sehen, dass diese Voruntersuchung bei Vorliegen eines beherrschten Prozesses entfällt.) Es wird also der empirische statistische Zusammenhang zwischen der Ausschuss- bzw. Fehlerzahl in der Stichprobe und der Qualität des Gesamtloses erhoben. Dies wird im Laufe der kontinuierlichen Beobachtung von Qualitätsparametern geschehen und soll an einem Beispiel in Tabelle 1 verdeutlicht werden, das an das erste Beispiel weiter oben anschließt:

\(\begin{array}{|c|c|c|} \hline & ~~~~~~~~~~G~~~~~~~~~~ & S\\ \hline A & 200 & -6000\\ \hline Z & -120 & -120\\ \hline & & \gamma = 0,948~~\leftarrow\\ \hline & & \\ \hline i & p(G|i) & p(S|i)\\ \hline 0 & 0,985 & 0,015\\ \hline 1 & 0,95 & ~~~~~~~0,05~~~~\leftarrow\\ \hline 2 & 0,85 & ~~~~~~0,15~~~\leftarrow\\ \hline 3 & 0,73 & 0,27\\ \hline 4 & 0,535 & 0,465\\ \hline ... & ... & ...\\ \hline & & ~~~~~~c=1~~~\leftarrow\\ \hline \end{array}\)

Tabelle 1    Lose werden nur dann ausgeliefert, wenn die Ausschuss- bzw. Fehlerzahl in der Stichprobe höchstens \(~1~\) ist.

Was würde es bedeuten, wenn \(~p(G|0)~\lt \gamma~\) und somit ein \(~c~\) nach (4) nicht existiert? (Das würde im Beispiel in Tabelle 1  z.B. vorkommen, wenn \(~E_{SA}=-25000\) wäre.) Dann wäre offenbar die Vereinbarung, wann ein Los als gut gilt, zu streng und vom Hersteller nicht erfüllbar.


Prüfpläne für diskrete Lose in beherrschten Prozessen

Stichprobenpläne im Qualitätsmanagement werden auch kurz Prüfpläne genannt. Oft orientieren sie sich an den Vorgaben der DIN ISO 2859. Sie werden für diskrete Lose (also produzierte Chargen, die aus \(~N~\) gleichartigen Einzelstücken bestehen, wie etwa Packungen von Schrauben oder Tabletten) in der Form \(~(n,c)~\) angegeben:

(5)  Der Prüfplan \(~(n,c)~\) ist die Kurzform einer Anweisung: Prüfe eine zufällige Stichprobe des Umfangs \(~n~\) aus dem Los; akzeptiere das Los (zur Auslieferung), falls maximal \(~c~\) defekte Stücke in der Stichprobe sind.

\(n~\) wird meist nach DIN ISO 2859 gewählt oder nach einer gängigen Faustregel wie etwa \(~n \approx \sqrt{N}~\).

Falls der Produktionsprozess beherrscht ist, lässt sich das ertragsoptimale \(~c~\) mit Hilfe der mathematischen Statistik berechnen; eine Voruntersuchung zur Bestimmung der \(~p(G|i)~\) (s.o.) entfällt dann.

Was ist ein beherrschter Prozess? Ein solcher liegt vor, wenn Defekte an den produzierten Stücken nur zufällig mit Wahrscheinlichkeit \(~p~\) auftreten (und nicht etwa systematisch z.B. aufgrund von Bedienungsfehlern, Wartungsmängeln oder Temperaturschwankungen). In diesem Fall berechnet man \(~p(G|i)~\) mit Hilfe der Binomialverteilung, siehe (6). Diese Berechnung erfordert, dass die oben erwähnte Qualitätssicherungsvereinbarung zwischen Hersteller und Kunde konkret festlegt, wieviele Ausschussstücke im Los toleriert werden, um das Los noch als gut \(~(G)~\) anzuerkennen, nämlich maximal \(~M-1~\) Stück.

(6)  \(M~\) sei die Reklamationsgrenze, d.h. bei \(~M~\) oder mehr fehlerhaften Stücken im Los gilt das Los als schlecht \(~(S)~\). Dann gilt:

\(~p(G|i)=~B_{p,_~N-n_~}(M-1-i)\)

\(B~\) steht dabei für die kumulierte Binomialverteilung, hier mit den Parametern \(~p~\) und \(~N-n~\).  Das Argument der Verteilung ist \(~M-1-i~\),  es werden also die Werte dieser Binomialverteilung von \(~0~\) bis \(~M-1-i~\) summiert.

Wie kommt die Formel in (6) zustande? Bei der Berechnung von \(~p(G|i)~\) werden genau \(~i~\) defekte Stücke in der Stichprobe vorausgesetzt und es wird nach der Wahrscheinlichkeit für \(~G~\) gefragt, d.h. dass im Los maximal \(~M-1~\) defekte Stücke sind. \(~N-n~\) steht für die Anzahl der Stücke im Los, die nicht zur Stichprobe gehören. \(~B_{p,_~N-n_~}(k)\) ist die Wahrscheinlichkeit, dass unter diesen \(~N-n~\) Stücken maximal \(~k~\) defekte sind. Bei \(~i~\) defekten Stücken in der Stichprobe muss \(~k = M-1-i~\) sein, damit die Reklamationsgrenze \(~M~\) nicht erreicht wird.

Nach (4) und (6) gilt also:

(7)   \(c = \text{min}_~ \{_~n-1,~c_1~\}~~~\text{mit}~~~c_1=\text{max}_~ \{_~i~|~B_{p,_~N-n_~}(M-1-i)~\ge~\gamma_~\}\)

Insbesondere gilt \(~c~\le~M-1~\).

\(k = M-1-c_1~\) ist also die kleinste Zahl, für die \(~B_{p,_~N-n_~}(k)~\ge~\gamma~\) gilt. Dafür gibt es den abkürzenden Begriff der Quantile; hier ist zunächst die allgemeine Definition (für Verteilungen, die auf dem gesamten Definitionsbereich ungleich \(~0~\) sind; der Name der Verteilung soll hier der Einfachheit halber mit \(~B~\) für die kumulierte Verteilung angegeben werden):

\(\text{Quantile}_~(B,\alpha) = \text{min}_~\{k_~|_~B(k)\ge \alpha\}\)

Also gilt:

\(\text{Quantile}_~(B_{p,_~N-n_~},_~\gamma) = M-1-c_1\)

(8)   \(c = \text{min}_~ \{_~n-1,~M-1-\text{Quantile}_~(B_{p,_~N-n_~},_~\gamma)~\}\)

Auch hier kann es vorkommen, dass kein solches \(~c~\) gefunden wird, weil \(~\gamma~\gt~B_{p,_~N-n_~}(M-1)~\).  Denn wir haben in (7) (und darunter) gesehen, dass \(~\gamma~\le~B_{p,_~N-n_~}(M-1-c_1)~\le~B_{p,_~N-n_~}(M-1)~\) sein muss.

Mit (8) haben wir also für diskrete Lose in beherrschten Prozessen die ertragsoptimierte Annahmezahl \(~c~\) gefunden. (8) garantiert eine einfache Programmierung, siehe (9):

(9)   Excel:   \(c =~\)min (n - 1, M - 1 - binom.inv(N-n; p; γ))

        Mathematica:   c = Min [n - 1, M - 1 - Quantile[BinomialDistribution[N-n, p], γ]]

Erwarteter Ertrag: Durch die vorgestellte Methodik wird gewährleistet, dass der ausgewählte Prüfplan ertragsoptimal ist. Der zu erwartende Ertrag für diesen Plan lässt sich berechnen und zum Vergleich mit anderen Prüfplänen heranziehen. Dazu stellt man die folgende Tabelle auf; die Summe der Tabellenzellen ist der erwartete Ertrag:

\(\begin{array}{|c|c|c|} \hline & G & S\\ \hline A & E_{GA} \cdot p(G \wedge A) & E_{SA} \cdot p(S \wedge A)\\ \hline Z & E_{GZ} \cdot p(G \wedge Z) & E_{SZ} \cdot p(S \wedge Z)\\ \hline \end{array}\)

Die vier Wahrscheinlichkeiten in der Tabelle werden wieder mit der Binomialverteilung berechnet: \[p(G \wedge A) = \sum^c_{i=0} b_{p_~,n_~}(i) \cdot B_{p,_~N-n_~}(M-1-i)\] \[p(S \wedge A) = \sum^c_{i=0} b_{p,_~n_~}(i) \cdot (1-B_{p,_~N-n_~}(M-1-i))\] \[p(G \wedge Z) = \sum^n_{i=c+1} b_{p,_~n_~}(i) \cdot B_{p,_~N-n_~}(M-1-i)\] \[p(S \wedge Z) = \sum^n_{i=c+1} b_{p,_~n_~}(i) \cdot (1-B_{p,_~N-n_~}(M-1-i))\] \(b~\) steht für die Einzelwerte der Binomialverteilung und \(~B~\) für die Werte der kumulierten Binomialverteilung.

Excel:
                       \(b_{p,_~n_~}(i)=~\)binom.vert(i; n; p; 0)

                       \(B_{p,_~N-n_~}(M-1-i)=~\)binom.vert(M-1-i; N-n; p; 1)

Mathematica:
                       \(p(G \wedge A)=~\)Sum[PDF[BinomialDistribution[n,p],i] CDF[BinomialDistribution[N-n,p], M-1-i],{i,0,c}]

                       \(p(S \wedge A)=~\)Sum[PDF[BinomialDistribution[n, p],i] (1-CDF[BinomialDistribution[N-n, p], M-1-i]), {i,0,c}]

                       \(p(G \wedge Z)=~\)Sum[PDF[BinomialDistribution[n, p],i] CDF[BinomialDistribution[N-n, p], M-1-i], {i,c+1,n}]

                       \(p(S \wedge Z)=~\)Sum[PDF[BinomialDistribution[n, p],i] (1-CDF[BinomialDistribution[N-n, p], M-1-i]), {i,c+1,n}]


Beispiel

\(\begin{array}{|c|c|c|c|c|c|c|c|c|} \hline \text{Eingabe} & N & M & n & p & & \text{Erträge} & G & S\\ \hline & 1000 & 30 & 40 & 0,02 & & A & 200 & -6000\\ \hline & & & & & & Z & -120 & -120\\ \hline & & & & & & & &\\ \hline \text{Ausgabe} & \gamma & c & & & & \text{Ertrag} & &\\ \hline & 0,9484 & 2 & & & & 73,39 & &\\ \hline \end{array}\)

Im Beispiel sind \(~2\)% der Produktion fehlerhaft. Der Hersteller liefert Lose mit je \(~1000~\) Stück aus, die bei \(~30~\) oder mehr fehlerhaften Stücken (also \(\ge 3\)%) reklamiert werden können. Das Qualitätsmanagement arbeitet mit dem ertragsoptimierten Stichprobenplan \(~(40,2)~\) für jedes Los, d.h. vor der Auslieferung werden \(~40~\) zufällig ausgewählte Teile geprüft. Das Los wird zurückgewiesen, falls mehr als \(~2~\) Teile in der Stichprobe fehlerhaft sind, ansonsten wird es ausgeliefert. Obwohl der Verkaufserlös eines Loses \(~200~\)¤  beträgt, ergibt sich nur ein durchschnittlicher Ertrag von \(~73,39~\)¤  pro Los. Dies liegt daran, dass manche Lose zurückgewiesen werden (\(120~\)¤  Kosten) und manche reklamiert werden (\(6.000~\)¤  Kosten).


Prüfpläne für kontinuierliche Lose in beherrschten Prozessen

Kontinuierliche Lose enthalten keine Einzelstücke, sondern sind "Einheiten". Beispiele sind Drähte und Fäden (Einheit könnte \(~1~\text{m}~\) sein), Gewebe (Einheit \(~1~\text{m}^2~)\),  Flüssigkeiten und Gase (Einheit \(~1~\text{m}^3~\)).  In diesen können Fehler gezählt werden und Stichproben entnommen werden. Ein Fehler in einer Flüssigkeit könnte etwa ein Schmutzpartikel sein, ein Fehler in einem Faden eine zu dünne Stelle usw. Zufällig genommene Stichproben werden gemäß ihrem Anteil am Los mit \(~r \in (0,1)~\) dargestellt:

(10)  Der Prüfplan \(~(r,c)~\) ist die Kurzform einer Anweisung: Ziehe eine zufällige Stichprobe des Umfangs \(~r~\) aus dem Los; akzeptiere das Los (zur Auslieferung), falls maximal \(~c~\) Fehler in der Stichprobe sind.

Was ist ein beherrschter Prozess für die Produktion kontinuierlicher Lose? Ein solcher liegt vor, wenn Fehler nur zufällig mit durchschnittlicher Anzahl \(~\lambda~\) im Los auftreten. In diesem Fall berechnet man \(~p(G|i)~\) mit Hilfe der Poisson-Verteilung, siehe (11).

(11)  \(M~\) sei die Reklamationsgrenze, d.h. bei \(~M~\) oder mehr Fehlern im Los gilt das Los als schlecht \(~(S)~\). Dann gilt:

\(~p(G|i)=~P_{(1-r)_~\lambda_~}(M-1-i)\)

\(P~\) steht dabei für die kumulierte Poisson-Verteilung, hier mit dem Parameter \(~(1-r)_~\lambda~\).  Das Argument der Verteilung ist \(~M-1-i~\),  es werden also die Werte dieser Poisson-Verteilung von \(~0~\) bis \(~M-1-i~\) summiert.

Wie kommt die Formel in (11) zustande? Bei der Berechnung von \(~p(G|i)~\) werden genau \(~i~\) Fehler in der Stichprobe vorausgesetzt und es wird nach der Wahrscheinlichkeit für \(~G~\) gefragt, d.h. dass im Los maximal \(~M-1~\) Fehler gezählt werden. \(~(1-r)_~\lambda~\) steht für die durchschnittliche Fehlerzahl in dem Anteil des Loses, der nicht zur Stichprobe gehört. \(~P_{(1-r)_~\lambda_~}(k)\) ist die Wahrscheinlichkeit, dass in diesem Anteil maximal \(~k~\) Fehler auftreten. Bei \(~i~\) Fehlern in der Stichprobe muss \(~k = M-1-i~\) sein, damit die Reklamationsgrenze \(~M~\) nicht erreicht wird.

Nach (4) und (11) gilt also:

(12)   \(c = \text{max}_~ \{_~i~|~P_{(1-r)_~\lambda_~}(M-1-i)~\ge~\gamma_~\}\)

Insbesondere gilt \(~c~\le~M-1~\).

Analog zu (8) gilt hier:

(13)   \(c = M-1-\text{Quantile}_~(P_{(1-r)_~\lambda_~},_~\gamma)\)

Auch hier kann es vorkommen, dass kein solches \(~c~\) gefunden wird, weil \(~\gamma~\gt~P_{(1-r)_~\lambda_~}(M-1)~\).

Mit (13) haben wir also für diskrete Lose in beherrschten Prozessen die ertragsoptimierte Annahmezahl \(~c~\) gefunden. (13) garantiert eine einfache Programmierung, siehe (14):

(14)   Mathematica:   c = M - 1 - Quantile[PoissonDistribution[(1-r)λ], γ]


Erwarteter Ertrag: Man stellt  –  wie bei den diskreten Losen  –  die folgende Tabelle auf; die Summe der Tabellenzellen ist der erwartete Ertrag:

\(\begin{array}{|c|c|c|} \hline & G & S\\ \hline A & E_{GA} \cdot p(G \wedge A) & E_{SA} \cdot p(S \wedge A)\\ \hline Z & E_{GZ} \cdot p(G \wedge Z) & E_{SZ} \cdot p(S \wedge Z)\\ \hline \end{array}\)

Die vier Wahrscheinlichkeiten in der Tabelle werden wieder mit der Poisson-Verteilung berechnet: \[p(G \wedge A) = \sum^c_{i=0} p_{~r\cdot\lambda_~}(i) \cdot P_{(1-r)\cdot\lambda_~}(M-1-i)\] \[p(S \wedge A) = \sum^c_{i=0} p_{~r\cdot\lambda_~}(i) \cdot (1-P_{(1-r)\cdot\lambda_~}(M-1-i))\] \[p(G \wedge Z) = \sum^{M-1}_{i=c+1} p_{~r\cdot\lambda_~}(i) \cdot P_{(1-r)\cdot\lambda_~}(M-1-i)\] \[p(S \wedge Z) = p(S)-p(S \wedge A)~=~1-P_{\lambda_~}(M-1)-p(S \wedge A)\] \(p~\) steht für die Einzelwerte der Poisson-Verteilung und \(~P~\) für die Werte der kumulierten Poisson-Verteilung.

Excel:
                       \(p_{~r\cdot\lambda_~}(i)=~\)poisson.vert(i; r·λ; 0)

                       \(P_{(1-r)\cdot\lambda_~}(M-1-i)=~\)poisson.vert(M-1-i; (1-r)·λ; 1)

                       \(P_\lambda(_~M-1)=~\)poisson.vert(M-1; λ; 1)

Mathematica:
                       \(p(G \wedge A)=~\)Sum[PDF[PoissonDistribution[r·λ], i] CDF[PoissonDistribution[(1-r)·λ], M-1-i], {i,0,c}]

                       \(p(S \wedge A)=~\)Sum[PDF[PoissonDistribution[r·λ], i] (1-CDF[PoissonDistribution[(1-r)·λ], M-1-i]), {i,0,c}]

                       \(p(G \wedge Z)=~\)Sum[PDF[PoissonDistribution[r·λ], i] CDF[PoissonDistribution[(1-r)·λ], M-1-i], {i,c+1,n}]

                       \(p(S \wedge Z)=~\)1 - CDF[PoissonDistribution[λ], M-1] - Sum[PDF[PoissonDistribution[r·λ], i] (1-CDF[PoissonDistribution[(1-r)·λ], M-1-i]), {i,0,c}]


Beispiel

\(\begin{array}{|c|c|c|c|c|c|c|c|} \hline \text{Eingabe} & M & r & \lambda & & \text{Erträge} & G & S\\ \hline & 14 & 0,12 & 6,95 & & A & 200 & -6000\\ \hline & & & & & Z & -120 & -120\\ \hline & & & & & & &\\ \hline \text{Ausgabe} & \gamma & c & & & \text{Ertrag} & &\\ \hline & 0,9484 & 3 & & & 128,44 & &\\ \hline \end{array}\)

Im Beispiel befinden sich durchschnittlich \(~6,95~\) Fehler in einem Los. Die Qualitätssicherungsvereinbarung legt fest, dass der Abnehmer bei \(~14~\) oder mehr Fehlern im Los reklamieren kann. Das Qualitätsmanagement arbeitet mit dem ertragsoptimierten Stichprobenplan \(~(0.12,_~3)~\) für jedes Los, d.h. vor der Auslieferung wird im Los ein zufälliger Anteil von \(~12\)% geprüft. Das Los wird zurückgewiesen, falls mehr als \(~3~\) Fehler in der Stichprobe sind, ansonsten wird es ausgeliefert. Obwohl der Verkaufserlös eines Loses \(~200~\)¤  beträgt, ergibt sich nur ein durchschnittlicher Ertrag von \(~128,44~\)¤  pro Los. Dies liegt daran, dass manche Lose zurückgewiesen werden (\(120~\)¤  Kosten) und manche reklamiert werden (\(6.000~\)¤  Kosten).


Ertragsrechnung für beliebige Stichprobenpläne

Eine Ertragsrechnung ist auch dann möglich, wenn eine Optimierung nicht durchgeführt wird. Die hier beschriebenen Methoden für diskrete und kontinuierliche Lose liefern für jeden Prüfplan den zu erwartenden Ertrag. Bei diskreten Losen sind das sehr häufig feste Prüfpläne nach DIN ISO 2859 gemäß den Qualitätssicherungsvereinbarungen zwischen Herstellern und Abnehmern.


Literatur

Deutsches Institut für Normung (Hrsg.): DIN ISO 2859-1:2014-08 Annahmestichprobenprüfung anhand der Anzahl fehlerhafter Einheiten oder Fehler (Attributprüfung)

Timischl, Wolfgang: Qualitätssicherung - Statistische Methoden

Börgens, Manfred: Stichprobenprüfung in beherrschten und nichtbeherrschten Prozessen  –  Beispiele und Formeln für Attributprüfung mit Anwendungen auf DIN ISO 2859



Stand 2022-09-13


Inhalt Blog   |    voriger Eintrag   |    nächster Eintrag


Manfred Börgens   |   Zur Leitseite