Manfred Börgens
Mathematik auf Briefmarken  # 23
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Briefmarke des Monats Oktober 2002

Marke mit Portrait von Russell   Indien 1972

  Michel 545
  Scott 561



Bertrand Russell (1872 - 1970)

Bertrand Russell lebte fast 100 Jahre lang. Als Kind saß er auf dem Schoß der Königin Victoria und hörte seinen Großvater, den britischen Premierminister, von dessen Begegnung mit Napoleon erzählen. Gegen Ende seines Lebens wurde er noch Zeuge der ersten Mondlandung.

Russell studierte Mathematik am Trinity College in Cambridge und wurde einer der bedeutendsten Logiker der Wissenschaftsgeschichte. Nach dem Erscheinen der Principia Mathematica (1910 - 1913, mit Alfred North Whitehead) wandte sich Russell zunehmend der Philosophie und der Politik zu. Seine pazifistische Haltung brachte ihn während des 1. Weltkriegs ins Gefängnis und um seine Anstellung in Trinity; seine Auffassungen zu Religion und Moral verhinderten während des 2. Weltkriegs eine Tätigkeit an amerikanischen Hochschulen. Ab 1944 war Russell erneut Mitglied von Trinity.

Bertrand Russell erhielt 1950 den Nobelpreis für Literatur in Anerkennung seiner stilistisch und inhaltlich exzellenten Schriften zur Verbreitung humanitärer Ideale und der Gedankenfreiheit. Russell trat später an der Seite von Einstein und Sartre für weltweite Abrüstung ein und warnte in zahllosen Reden und Artikeln vor den Gefahren eines nuklearen Krieges.

Zurück zur Mathematik:

Russells Name ist Mathematikern und Philosophen bekannt durch die "Russell'sche Antinomie". Eine Antinomie stellt einen paradoxen, logisch nicht auflösbaren Sachverhalt dar. Am Anfang des 20. Jahrhunderts hatten die Mathematiker die Mengenlehre Georg Cantors als wichtiges Hilfsmittel und als eine Grundlage von Mathematik und Logik schätzen gelernt. Man ging davon aus, dass eine Menge durch eine eindeutige charakterisierende Eigenschaft ihrer Elemente bestimmt ist. Damit ist es auch möglich, Mengen zu bilden, deren Elemente wieder Mengen sind. Besondere Beachtung fand nun der Fall, dass eine solche Menge Element ihrer selbst ist. Das hört sich paradox an, ist aber leicht an einem Beispiel zu erklären: Es gibt sicherlich viele verschiedene Mengen, die mehr als drei Elemente haben. Bildet man nun die Menge  S , die alle diese Mengen als Elemente enthält, so enthält sich  S  auch selbst als Element. 1901 verstörte Bertrand Russell die mathematische Welt (und sich selbst) nachhaltig durch die Formulierung einer Antinomie der Mengenlehre, die die freizügige Bildung solcher Mengen in Frage stellte:

Die Russell'sche Antinomie

Ist  A  die Menge, die genau diejenigen Mengen als Elemente enthält, die sich nicht selbst als Element enthalten, so stellt sich die Frage, ob sich  A  selbst als Element enthält.

A  ist scheinbar ganz unverdächtig, irgendwelche Schwierigkeiten zu machen. Elemente von  A  sind fast alle Mengen, die einem spontan einfallen, z.B. die Menge der natürlichen Zahlen, alle einelementigen Mengen, die Menge der aktuellen EU-Staaten usw. Jedoch enthält  A  beispielsweise nicht die Menge  S  als Element.

Enthält nun  A  sich selbst als Element? Falls ja, darf sie nach ihrer obigen Definition sich nicht als Element enthalten, und das ist ein Widerspruch. Falls nein, enthält sie sich nach dieser Definition selbst als Element, und das ist auch ein Widerspruch.

Russell hat also eine Menge gefunden, die nach der Cantor'schen Mengenlehre einwandfrei definiert ist, aber einen unauflösbaren Widerspruch in sich trägt.

Die Russell'sche Antinomie hatte weitreichende Konsequenzen für die Grundlagen der Mathematik. Über Jahrzehnte hinweg beschäftigten sich Mathematiker (auch Russell selbst) mit anderen Möglichkeiten, die Mengenlehre neu zu begründen. Heute bedient man sich der "axiomatischen" Mengenlehre, in der (wie in anderen mathematischen Disziplinen auch) auf eine Definition der Grundbegriffe verzichtet wird zugunsten von "Axiomen", d.h. Festlegungen grundlegender Beziehungen zwischen Mengen und Elementen. Aber es ist nie der Nachweis gelungen, dass in dieser modernen Mengenlehre ein Widerspruch nicht auftreten kann.


Russells Philosophie

Russells pazifistische Aktivitäten

Nobelpreis 1950



Stand 2003-02-18
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