Manfred Börgens
Mathematik auf Briefmarken  # 101
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Escher-Marke

Niederlande 1949   Michel 545   Scott 324


Maurits Cornelis Escher (1898 - 1972)

Die abgebildete Briefmarke wurde vom niederländischen Graphiker M. C. Escher gestaltet. Eschers Werk wird von Mathematikern geschätzt und bewundert, weil er ohne akademische mathematische Ausbildung mathematische Objekte und Strukturen künstlerisch darstellen konnte. Auf seinen Bildern findet man Parkettierungen der Ebene, "unmögliche" geometrische Figuren, Darstellungen der hyperbolischen Geometrie, das Möbiusband und vieles mehr, was (nicht nur) Mathematiker ästhetisch und wissenschaftlich anspricht. Die zweite hier abgebildete Marke zeigt über Eschers Porträt einen Ausschnitt eines seiner bekanntesten Bilder, Metamorphose III:

Marke mit Escher-Portrait

Niederlande 1998   Michel 1666   Scott 1004

Auf den ersten Blick erscheint die Briefmarke ganz oben etwas unscheinbar. Man sieht  -  passend zum Jubiläum des Weltpostvereins  -  die Weltkugel mit ineinander verschlungenen Posthörnern. Aber beim genaueren Hinschauen entdeckt man ein einzigartiges Meisterwerk Eschers. Es handelt sich um eine vollständige Parkettierung der Kugel. Natürlich sieht man von ihr maximal die Hälfte, so dass nachzuweisen ist, dass sich das Muster gleichmäßig und symmetrisch über die gesamte Kugeloberfläche erstreckt.

Parkettierungen sind eines der Markenzeichen M. C. Eschers. Er hat solchen Motiven zahlreiche Holzschnitte, Lithographien und Aquarelle gewidmet und sich dabei der euklidischen und nichteuklidischen Geometrie bedient. Aber das alles ist in der Ebene viel einfacher als auf der Kugel. Das Bild auf der Briefmarke zeigt bei genauer Analyse, wie Escher vermutlich gearbeitet hat. Wählt man als Grundform eines Parketts ein gleichseitiges Polygon und fügt solche Polygone im Raum zu einem an allen Ecken gleichförmigen konvexen Körper zusammen, so erhält man einen der fünf Platonischen Körper. Diese haben die schöne Eigenschaft, dass alle Ecken auf der Umkugel liegen. Die Kanten lassen sich auf die Kugeloberfläche projizieren und laufen dort entlang von geodätischen Linien (für einige der Platonischen Körper wurde das in Problem # 81 und Problem # 82 durchgeführt). Auf diese Weise erhält man eine regelmäßige Aufteilung der Kugeloberfläche in gleichseitige Dreiecke, Quadrate oder Fünfecke.

Escher hat offenbar einen Würfel als Grundkörper verwendet. Die Parkettierung erfordert dann, dass das Muster auf einer Würfelseite (Quadrat) an den vier Kanten mit den Nachbarseiten zusammenpasst. Das war für Escher natürlich kein Problem, da es auf einer ähnlichen Technik wie bei Parkettierungen in der Ebene beruht. Der Würfel wird dann auf die Kugeloberfläche projiziert, also quasi "aufgeblasen", wobei die acht Ecken erhalten bleiben, weil sie schon zuvor auf der Kugeloberfläche lagen.

Woran kann man diese Grundidee für die Kugelparkettierung auf der Briefmarke erkennen? Man schaue sich den oberen Teil der Graphik an. Dort liegen vier Posthörner ineinander verschlungen, zwei weiße und zwei schwarze. Diese überdecken (zunächst nur grob geschätzt) ein Sechstel der Kugeloberfläche. Denkt man sich ein Quadrat um diese vier Posthörner, so sieht man, dass sich links, rechts und unten (dort am deutlichsten) gleichartige Darstellungen anschließen, jeweils mit vertauschten Farben.

Escher hat also einen sphärischen Würfel geschaffen, der eine vollständige Parkettierung der Kugel aufweist. In der folgenden Graphik sieht man im ersten Bild links ein sphärisches Quadrat mit einem Sechstel der Kugeloberfläche, und darauf die Grundfiguren von vier Posthörnern. An den Überlappungen an allen vier Quadratseiten (Würfelkanten) setzt jeweils das gleiche Muster wieder an, in umgekehrten Farben. Dies ist im zweiten Bild angedeutet. Im dritten Bild sind dann die überstehenden Teile abgeschnitten, so dass nun eine "Kachel" für die Parkettierung vorliegt, die sich sechsfach auf der Kugel wiederholt. Auf dem Bild ganz rechts wurden noch die Schalltrichter (Y-förmig) und die Mundstücke (grün für die weißen und violett für die schwarzen Posthörner) schematisch hinzugefügt. Vergleicht man dies wieder mit der Briefmarke, so wird deutlich, dass die drei gleichfarbigen und eng zusammen liegenden Mundstücke jeweils eine Ecke des Würfels markieren.

Kachel

Auf der Briefmarke sehen wir keine "zentrale" Kachel wie bei den vier Bildern oben. Man sieht zwei vollständige Kacheln (jeweils vom "Äquator" bis zu den "Polen") und zwei halbe (links und rechts), so wie im nächsten Bild dargestellt. - Natürlich sind auch andere Kacheleinteilungen möglich, aber die hier vorgestellte macht die Struktur von Eschers Graphik gut sichtbar.

4 Kacheln

Möglicherweise stellt die Graphik auf der Briefmarke Eschers einzige Parkettierung eines sphärischen Würfels dar; vielleicht findet sich ein Escher-Kenner, der das überprüft. Dies ist der Grund, warum das Bild oben als "einzigartig" bezeichnet wurde.

Da die Kugel den Erdglobus darstellen soll, ist noch anzumerken, dass Escher offenbar die Sonne auf die nördlichen Bereiche scheinen lässt  -  es ist also gerade Sommer in den Niederlanden.


Die wohl erstaunlichste Verbindung von Eschers Kunst mit der Mathematik findet man in den Parkettierungen des Kreises, die der hyperbolischen Geometrie folgen. Escher hat diese Theorie durch den Mathematiker H.S.M. Coxeter kennengelernt. Er hatte vorher lange nach Parkettierungen gesucht, die nicht einfach am Rand des Bildes wie abgeschnitten enden, sondern die konvergieren. Durch Coxeter kam die Idee des Grenzwerts auf eine natürliche und künstlerisch überzeugende Weise in Eschers Werk. Das ist sehr schön im Holzschnitt  Kreislimit III  zu sehen:

Kreislimit III
Cirkellimiet III (1959), hier dargestellt als Mathematica-Graphik von Silvio Levy
© Dec. 1991 by The Geometry Center, University of Minnesota


Einzelheiten zur hyperbolischen Geometrie in Eschers Werk findet man u.a. in einer Arbeit von D. Dunham und in einer Publikation der American Mathematical Society von B. Casselman.


In der Zeitschrift Filatelie ist eine Zusammenstellung von allen Escher-Briefmarken erschienen.


Publiziert 2017-10-29          Stand 2015-01-03


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