Manfred Börgens
Mathematik auf Briefmarken  # 85
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Kalenderuebergabe

Vatikan 1982   Michel 811-813   Scott 715-717


Der Gregorianische Kalender  Teil 2        (→  Teil 1)

Zum 400. Geburtstag des Gregorianischen Kalenders hat der Vatikan diese Serie mit drei Briefmarken herausgegeben, die die Reliefplatte am Grabmal Gregors XIII. im Petersdom zeigen. Dieses Relief wurde Anfang des 18. Jahrhunderts von Bernardino Cametti und Carlo Mellone gefertigt und stellt die Übergabe des neuen Kalenders durch die Gelehrten an den Papst dar. (Die Vorgeschichte zur Berechnung des Gregorianischen Kalenders durch eine Gelehrtenkommission ist in Teil 1 nachzulesen.)

Die nächsten beiden Bilder sind Fotografien vom Grabmal, das dem Graphiker als Vorlage gedient hat. Links ist das ganze Grabmal zu sehen; das Relief befindet sich zu Füßen von Papst Gregor. Rechts ist ein vergrößertes und gut ausgeleuchtetes Bild von der Reliefplatte. Man erkennt, dass die drei Briefmarken das gesamte Relief umfassen.

Grabplatte

Die Identität der einzelnen Personen auf dem Relief ist nur schwer zu bestimmen. Die Quellenlage ist dürftig und teilweise widersprüchlich. Es wäre schön, wenn Leser dieser Seite bei der Aufklärung dieser Frage helfen könnten.  -  Es besteht in allen Beschreibungen des Grabmals kein Zweifel darüber, dass Papst Gregor XIII. auf der mittleren Marke links abgebildet ist. Er sitzt auf einem Thron. Vor ihm kniet ein kahlhäuptiger Mann und präsentiert dem Papst ein Buch. Hinter diesem Mann kniet ein weiterer mit einer Mönchstonsur, der ebenfalls ein Buch hält (zweiter von links auf der rechten Marke).

???
Wer sind die zehn Leute auf dem Relief?

Die Kalenderkommission bestand vermutlich aus zehn Gelehrten. Die beiden Bildhauer haben neun Personen bei der Übergabe des Kalenderwerks um den Papst gruppiert. Wir wissen nicht, ob die Darstellung historisch korrekt ist, sondern können nur nach plausiblen Hinweisen auf die anwesenden Personen suchen.

Es ist stark zu vermuten, dass es Christopher Clavius ist, der direkt vor Gregor kniet und ihm den neuen Kalender übergibt. Fast alle Quellen gehen davon aus. Allerdings bleiben Zweifel. In der päpstlichen Bulle Inter gravissimas wird Aloisius Lilius (Luigi Lilio) ausdrücklich als Urheber des neuen Kalenders erwähnt. Er war 1582 bereits gestorben. In der Kalenderkommission wurde er nach seinem Tod durch seinen Bruder Antonius Lilius (Antonio Lilio oder Giglio) vertreten, der bei der Übergabe des Werks zugegen war. Es gibt nun eine Quelle, die Antonius Lilius möglicherweise als den Mann identifiziert, der vor dem Papst kniend den Kalender präsentiert:

Nel monumento posto all'interno della Basilica Vaticana a ricordo di Papa Gregorio XIII vi è immortalato Antonio Giglio nell'atto di porgere il libro del fratello al Pontefice.

(Am Denkmal im Inneren der Vatikanischen Basilika zum Andenken an Papst Gregor XIII. ist Antonio Giglio beim Überreichen des Buches des Bruders an den Pontifex verewigt.)

Die Mehrheitsmeinung scheint das aber nicht zu sein. "Am Denkmal ... beim Überreichen des Buches ... verewigt." kann ja auch bedeuten, dass Antonius Lilius lediglich anwesend war. Er könnte eher der Mann sein, der gewissermaßen "in zweiter Reihe" kniet und ebenfalls ein Buch hält. Dieses Buch wäre dann wohl der erste Entwurf seines Bruders Aloisius zu einer Kalenderreform; dieses Werk gilt heute als verschollen. Gegen diese Annahme spricht jedoch, dass Antonius Lilius kein Mönch war.

Wenn man davon ausgeht, dass Clavius vor dem Papst kniet, stellt sich die Frage, welches Werk er genau überreicht. Es würde helfen, wenn bekannt wäre, wann sich diese Übergabe abgespielt hat. Am ehesten wird es sich wohl um das Compendium novae rationis restituendi kalendarium handeln, das jedoch schon 1577 fertiggestellt war und den Potentaten in Europa und im Mittelmeerraum zur Kommentierung vorgelegt worden war.

Von einem weiteren Mann weiß man, dass er bei der Kalenderübergabe zugegen war: Der Dominikanerpater und Mathematiker Ignazio Danti. Danti lehrte in Pisa und Bologna als Universitätsprofessor Mathematik, Astronomie und Kartographie. Er entdeckte die Lücke im Julianischen Kalender, die durch die fortschreitende Verfrühung der Tag-und-Nacht-Gleiche entstand. Gregor XIII. berief ihn 1580 als päpstlichen Kosmographen und Mathematiker nach Rom. Danti hatte eine Reputation als Globusmacher und leitete die Anfertigung der großformatigen Landkarten der italienischen Regionen an den Wänden des Vatikanpalastes. Er wurde Mitglied der Kalenderkommission und ist auf der Briefmarkenserie abgebildet  -  aber wo? Es ist sicher nicht zu gewagt, ihn als rechte Figur auf der linken Marke zu vermuten  -  dafür spricht der Globus vor ihm. Außerdem war Danti beim Papst in hohem Ansehen, was seine Position direkt neben ihm rechtfertigen würde. Neben Danti sieht man übrigens einen Mann mit Brille.

Sicherlich war der geistliche Leiter der Kalenderkommission anwesend: Kardinal Guglielmo Sirleto. Als weitere Mitglieder der Kommission gelten Pedro Chacón, Seraphinus Olivarius Rotae, Vincenzo di Lauro, Patriarch Ignatius Nehemet von Antiochia, Giuseppe Scala und Leonardo Abel (Bischof Thomas Giglio als erster Leiter der Kommission und Teofilus Martius waren schon Jahre zuvor ausgeschieden). Dass nur neun Personen außer dem Papst abgebildet sind, kann daran liegen, dass der Patriarch bereits 1576 durch einen Nachfolger ersetzt wurde, also vermutlich in diesem Jahr gestorben ist.



Auch die deutsche Post hat eine Briefmarke zur 400-Jahr-Feier des Gregorianischen Kalenders herausgegeben. Hier ist sie:

Rasch

Deutschland 1982   Michel 1155   Scott 1383

Die Marke zeigt ein (ursprünglich nicht-farbiges) Bild, das Johann Rasch 1590 in zweien seiner Bücher zur Einführung und Erklärung des neuen Kalenders verwendet hat. Der Ersttagsstempel rechts zeigt Papst Gregor XIII.

Auch diese Briefmarke würde eine genaue Erklärung verdienen. Zu den Details können vielleicht die Leser dieser Seite etwas Wissenswertes beitragen.  -  In dem folgenden Kasten werden im Wesentlichen nur Spekulationen zusammengetragen.

???
Was hat der Graphiker auf der Marke gezeichnet?

Wir gehen von außen nach innen vor.

In den vier Ecken steht:
Tempus = Zeit
Coelum = Himmel
Pascha = Ostern
Aequinoct(ium) = Tag-und-Nacht-Gleiche (Frühlings- und Herbstanfang)

Im äußeren (blauen) und inneren (weißen) Kreisring sind die zwölf Tierkreiszeichen in zwei verschiedenen Darstellungen zu sehen.

Der innere Kreis ist in vier Quadranten geteilt. Hier hört die Kenntnis auf und fängt die Spekulation an. In der oberen Hälfte stehen sich wohl die Kirche (links) und die Wissenschaft (rechts) gegenüber. Der Mann der Kirche hat drei Kreuze und den Mond neben sich; der Mond weist vermutlich auf die Osterberechnung hin. Er hält ein Lamm mit Heiligenschein im Arm. Im Alten Testament ist das Lamm das klassische Opfertier. Im Neuen Testament wird Jesus als das Lamm Gottes bezeichnet; er opfert sich, um mit seinem Tod die Sünden der Welt hinwegzunehmen. In bildlichen Darstellungen wird das Lamm häufig mit einer Fahne als Zeichen des Sieges versehen, so auch hier in Raschs Büchern. Mit seinem weißen Fell steht das Lamm daneben auch für Reinheit und Frieden. Außerdem gibt es Bezüge zu Raschs Vornamen Johannes. Denn das "Lamm Gottes" ist ein Wort Johannes' des Täufers, so berichtet vom Evangelisten Johannes (1, 29).  -  Der Wissenschaftler ist von der Sonne und drei Sternen begleitet; die Sonne steht wohl für den (Sonnen-)Kalender. Er hält eine Armillarsphäre in der Hand.  -  Über dem Kreismittelpunkt steht PAR als Signatur des Graphikers, dessen voller Name unbekannt ist.

In der unteren Hälfte begegnen sich an der senkrechten Trennlinie zweimal die Tierkreiszeichen Fische und Widder, die den Frühlingsanfang zwischen sich einschließen. "Signor" bedeutet "Herr", "Aequinoc(tium)" steht wieder für "Tag-und-Nacht-Gleiche". Die Zahlen in den unteren Kreissektoren sind rätselhaft. Das linke Tier scheint ein Lamm zu sein, das rechte ein Widder (steht als Tierkreiszeichen für den Frühlingsbeginn).



Publiziert 2013-11-02          Stand 2012-11-10


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