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2024-11-04                                                                 Kommentare sind willkommen.


Die Quelle und die Länge des Rheins


Die Rheinquelle

Der Rhein wird in den Schweizer Alpen von Hunderten kleinen Flüssen und Bächen gespeist, die sich zu zahlreichen Quellen zurückverfolgen lassen. Es ist fast unmöglich, nur aufgrund von Kartenstudium eine dieser Quellen als Rheinquelle zu bestimmen. Bevor man sich an eine Recherche begibt, muss festgelegt werden, wie die Quelle eines Flusses definiert wird  –  das ist nämlich keineswegs offensichtlich.

Man stelle sich vor, dass man an einem Fluss aufwärts geht und an das Zusammentreffen zweier Zuflüsse kommt. Dabei ist oft nicht klar zu erkennen, was Haupt- und was Nebenfluss ist, wie wir noch sehen werden. Es gibt (mindestens) vier Kriterien, für welchen Zufluss man sich entscheiden soll, um zur Quelle zu gelangen:
C  bedarf einer Erklärung. Man schaue sich dazu Bild 1 an:

Zufluesse

Bild 1   zu  C
Die Pfeile geben die Fließrichtung an. Wenn man flussaufwärts geht, ist das in den Bildern von oben nach unten.
Links: Haupt- und Nebenfluss sind geographisch gut unterscheidbar.
Rechts: Kriterium  C  ist nicht anwendbar.


Wir wollen diese Kriterien auf drei markante Stellen am Rhein anwenden. Bild 2 zeigt den Zusammenfluss von Rhein und Aare:

Aare

Bild 2   Aare
Der Rhein fließt von rechts nach links, die Aare von unten nach oben.
A :  Die Aare führt am Zusammenfluss mehr Wasser als der Rhein.
B :  Entlang des Rheins gelangt man zu einer weiter entfernten Quelle als entlang der Aare.
C :  Die geographische Situation spricht eher für die Aare als Hauptfluss; der Rhein erscheint als rechter Nebenfluss.
D :  Folgt man dem Flussnamen, scheidet die Aare aus.


Am Aarezufluss erkennt man, dass schwer zu entscheiden ist, wo es zur Quelle geht. Die Kriterien  A  und  C  sprechen für die Aare,  B  und  D  für den Rhein.

Der vielleicht wichtigste Zusammenfluss ist der von Vorder- und Hinterrhein, siehe Bild 3. Die beiden gelten als die Quellflüsse, die gemeinsam den eigentlichen Rhein erschaffen.

Vorder- und Hinterrhein

Bild 3   Zusammenfluss von Vorder- und Hinterrhein zum Alpenrhein
A :  Der Hinterrhein führt am Zusammenfluss mehr Wasser als der Vorderrhein.
B :  Entlang des Vorderrheins gelangt man zu einer weiter entfernten Quelle als entlang des Hinterrheins.
C :  Die geographische Situation zeigt die beiden Zuflüsse als gleichwertig.
D :  Beide Flüsse heißen "Rhein".


Auch hier ist schwer zu entscheiden, wo es zur Quelle geht.

Bild 4 zeigt den Zusammenfluss von Vorderrhein und Rein da Medel (das ist der lokale rätoromanische Name; es gibt auch die deutsche Bezeichnung Medelser Rhein):

Medel

Bild 4   Rein da Medel
Der Vorderrhein fließt von links nach rechts, der Rein da Medel von unten nach oben.
A :  Über die Wasserführung ist dem Verfasser nichts bekannt; nach der Karte erscheinen beide Zuflüsse gleich groß.
B :  Entlang des Rein da Medel gelangt man zu einer weiter entfernten Quelle als entlang des Vorderrheins.
C :  Die geographische Situation zeigt die beiden Zuflüsse als gleichwertig.
D :  Beide Flüsse heißen "Rhein".


Zusammengefasst: An diesem Zusammenfluss ist der Rein da Medel (eher als der Vorderrhein) der Weg zur Quelle.

Bei den Kriterien  A - D  gibt es kein Richtig und Falsch. Aber im zweiten Teil dieses Beitrags wird es um die Länge des Rheins gehen. Die Bestimmung dieser Länge (Flusslauf von der Quelle bis zur Mündung) erfordert natürlich eine Festlegung auf eines der Kriterien, insbesondere bei Vorder-/Hinterrhein und beim Aarezufluss. Fast alle Literatur- und Internetquellen gehen davon aus, dass die Rheinquelle im Gebiet des Vorderrheins liegt  –  jedenfalls dann, wenn man sich auf eine Quelle festlegen muss (damit scheidet Kriterium  A  aus). In großem Maßstab hat der Vorderrhein eine "einfache Geometrie", er verläuft über ca. 70 km von West nach Ost durch ein langgestrecktes Tal. Rein geographisch läge es nahe, seine Quelle ganz im Westen, unterhalb des Oberalppasses, zur Quelle des Rheins zu erklären, zumal er bis dort seinen Namen beibehält. Aber so steht es nicht in der (vor allem älteren) Rheinliteratur. Dort "gilt" der Tomasee (rätoromanisch Lai da Tuma) als Rheinquelle. Das kann schon deshalb nicht stimmen, da der See einen Zufluss hat, siehe Bild 8. Der Rein da Tuma ist ein Zufluss zum See und ein Abfluss aus dem See und mündet in den Vorderrhein (rätoromanisch Rein Anteriur). Wie ist zu erklären, dass Besucher durch eine Metalltafel am Tomasee darüber aufgeklärt werden, dass hier die Rheinquelle liegt? Ein Grund ist sicherlich die größere Flusslänge gegenüber dem Hinterrhein; offenbar wurde hier Kriterium  B  angewendet. Die geographische Lage lässt sich wohl kaum als Grund anführen, denn der Rein da Tuma erscheint eher als Nebenfluss des Vorderrheins als umgekehrt. Aber der Rein da Tuma ist nicht der längste Quellfluss des Rheins.  –  Also begeben wir uns auf die Suche nach derjenigen Quelle, die am weitesten von der Mündung des Rheins in die Nordsee entfernt ist.

In Frage kommen die Zuflüsse des Vorderrheins. Die Vermessung ihrer Längen führt an die Rheinquelle mit der längsten Flusslänge bis zur Mündung, den Lago di Dentro (italienisch für "Innerer See") im Tessin. Da es in der Nähe einen weiteren Lago di Dentro gibt, soll hier die präzisere Bezeichnung Lago di Dentro di Cadlimo verwendet werden. Der See liegt auf 2504 m Höhe. [8] erwähnt einen Zufluss (von unerheblicher Länge) zum See, der auf 2534 m etwas unterhalb des Passes Bocchetta di Cadlimo entspringt, aber auf topographischen Karten nicht erkennbar ist. Aus dem See fließt der Reno di Medel ab; das ist der italienische Name für den Rein da Medel aus Bild 4, der in den Vorderrhein mündet. Bild 5 zeigt den See:

Lago_di_Medel

Bild 5   Lago di Dentro di Cadlimo  –  Rheinquelle  –  Blick von Norden
Der Abfluss des Reno di Medel ist links.  –  Im Hintergrund erhebt sich die Punta Negra.
Copyright: whatyousee.ch/projekte/rheinquellen/reno-di-medel


Die drei nächsten Karten zeigen den Lauf des Quellflusses in zunehmendem Maßstab:

Medel_a

Bild 6   Reno di Medel vom Lago di Dentro di Cadlimo bis zum Lago del'Isra


Medel_b

Bild 7
Reno di Medel vom Lago di Dentro di Cadlimo über den Lago del'Isra zur Grenze Tessin - Graubünden. Ab der Grenze sind die Namen rätoromanisch. Der Fluss mündet in den Lai da Sontga Maria (St.-Maria-See) und fließt als Rein da Medel aus dem See heraus und nach Norden weiter.



Medel_c

Bild 8   Flusslauf bis nach Platta

Der längste Flussweg des Rheins hat somit von der Quelle bis nach Konstanz den folgenden Verlauf:
Erster Exkurs   Bevor wir uns dem zweiten Teil dieses Beitrags zuwenden, der sich der Länge des Rheins widmet, soll noch auf ein "Unikat" unter den Quellflüssen des Rheins hingewiesen werden: Es gibt einen Rheinzufluss aus Italien, den Reno di Lei. Dies ist der einzige Wasserlauf, der aus Italien zur Nordsee führt. Der Reno di Lei mündet in den Ragn da Ferrera (rätoromanischer Name für den Averser Rhein), der seinerseits in den Hinterrhein mündet.


Die Länge des Rheins

Man findet in der Literatur und in Internet-Quellen verwirrend viele Angaben zur Länge des Rheins, u.a. die veraltete Zahl 1.320 km. Häufig werden "rund 1.230 km" genannt, und das erweist sich als vernünftige Näherung. Hier soll aber genauer gerechnet werden, mit nachvollziehbaren Begründungen. Das ist erforderlich, weil es einige "Fallen" bei der Längenberechnung gibt, in die auch offizielle Stellen getappt sind.

Von der Quelle am Lago di Dentro di Cadlimo bis zur Alten Brücke in Konstanz sprechen wir vom teilkilometrierten Rhein, denn nach [2] ist nur ein Mittelstück kilometriert, nämlich der Alpenrhein und der eingedämmte Vorbau in den Bodensee. Seit 1939 ist von Konstanz bis zur Mündung bei Hoek van Holland der Rhein kilometriert.  –  Die teilkilometrierte Strecke weist naturgemäß eine größere Unsicherheit bei der Längenberechnung auf.

Von der Quelle bis zum Zufluss des Hinterrheins

Diese Flussstrecke umfasst den gesamten Medelser Rhein (mit den durchflossenen Seen) und den Vorderrhein zwischen Medel-Mündung (Bild 4) und Reichenau (Bild 3). Man findet die Längenangaben 76 km (z.B. in [10]) und 77 km (z.B. in [11]). Für Tabelle 1 wurde das zu 76,5 km gemittelt.

Alpenrhein und Bodensee

In [2] wird die Länge des Alpenrheins mit 90 km angegeben. Darin ist die Flussstrecke nicht enthalten, die durch Dämme begrenzt in den See hinausführt, mit der Länge 4,55 km nach [2]. Diese beiden Zahlen folgen der offiziellen Kilometrierung. Die Dämme sieht man in Bild 9. Der Abstand zwischen Dammende und Konstanz lässt sich leicht nachmessen, er beträgt in der Luftlinie 38,15 km. Allerdings hat der Rhein im Bodensee ein eigenes Bett, das in [3] beschrieben und erklärt wird. Damit kommt man auf eine Entfernung von ca. 38,75 km im Bett. Mittelt man diese Werte, ergibt sich für Alpenrhein-Mündungskanal-Bodensee eine Länge von ca. 133 km.  –  Es soll aber darauf hingewiesen werden, dass das Schweizer Bundesamt für Umwelt (zitiert in [1] bzw. [5]) für die Flussstrecke von der Quelle bis zur deutschen Grenze nördlich von Basel gerundete 376 km bzw. 377 km angibt; zieht man davon die kilometrierte Strecke bis zur Grenze (169,6 km unter Berücksichtigung des "kurzen km" bei Stein, siehe nächster Abschnitt) und die Strecke für Medelser Rhein-Vorderrhein-Alpenrhein-Dammvorbau (171,05 km) ab, erhält man nur 35,35 km bzw. 36,35 km für den Bodensee, was einer Messung nicht standhält.  –  Dass dagegen der Rhein den Mündungskanal und den Bodensee auf einer Länge von 43 km durchfließt, was den Berechungen weiter oben entspricht, findet man auch in [3, S. 193].

Muendung in Bodensee

Bild 9   Einmündung in den Bodensee

Für die teilkilometrierte Flussstrecke erhalten wir somit 209,5 km.


Der kilometrierte Rhein von Konstanz bis zur Mündung

Ab Konstanz geben die Hekto- und Kilometermarken und -tafeln an den Flussufern die benötigte Information über die Flusslänge. An der alten Brücke in Konstanz steht der km 0, die Mündung in die Nordsee bei Hoek van Holland liegt nach dem niederländischen Rijkswaterstaat Water Management Center bei km 1.032,78 (siehe [1]). Aber auf dieser Strecke gibt es Lücken in der Kilometrierung, so dass die wahre Länge deutlich geringer ist. Die Lücken in der Schweiz und in Deutschland heißen "kurze km". In den Niederlanden gibt es jeweils eigene Kilometrierungen für die verschiedenen Flussarme im Rheindelta; diese Arme verzweigen sich nicht nur, sondern treffen teilweise wieder zusammen; an diesen Stellen gibt es dann Lücken in der Kilometrierung.  –  Die Kilometrierung auf deutschem Gebiet ist ausführlich in [6] dokumentiert; die kurzen km stehen dort in Spalte 21.

Kurze Kilometer.   Die heute gültige Kilometrierung des Rheins stammt aus dem Jahr 1939. Vorher gab es in den deutschen Staaten und in der Schweiz jeweils eigene Kilometrierungen mit landesbezogenen Nullpunkten. Die zugehörigen km-Tafeln sollten 1939 soweit wie möglich übernommen und lediglich mit neuen Zahlen übermalt werden. An drei Stellen, an denen benachbarte km-Tafeln nicht zusammenpassten, gibt es daher eine Fehlstrecke. Das war zwar ein Bruch in der Systematik, wurde aber hingenommen, um eine komplette Neuvermessung des Rheins zu vermeiden. Der erste "kurze km" befindet sich bei Stein am Rhein in der Schweiz: zwischen km 22 und km 23 fehlen 400 m. Der zweite "kurze km" befindet sich an der badisch-hessischen Grenze: zwischen km 436 und km 437 fehlen 365 m. Der dritte "kurze km" befindet sich nördlich der Nahemündung: zwischen km 529 und km 530 fehlen 475 m. Die gesamte Fehlstrecke beträgt also 1,24 km.  –  Die alte und die neue Rhein-Kilometrierung und die "kurzen km" werden ausführlich in Blog # 7 behandelt.  –  Leider findet man auch behördliche Mitteilungen, in denen diese Fehlstrecke ignoriert wird. Dabei schreibt einer vom anderen (ungeprüft) ab: So zitiert z.B. Wikipedia in [9] die Angaben in [1]; diese Quelle beruft sich ihrerseits sowohl auf die Bundesanstalt für Gewässerkunde als auch auf die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes; dort werden (abgesehen von mehreren Ungenauigkeiten) die "kurzen km" ganz oder teilweise nicht in die Längenberechnung einbezogen.

Der niederländische Rhein.   Die wesentlichen Informationen über die verschiedenen Wege, die der Rhein in seinem Delta nimmt, erhält man über die offizielle Kilometrierung an den Ufern und vom niederländischen Rijkswaterstaat Water Management Center (siehe [1]). Ausführlich kann man das in Blog # 9 nachlesen. Man erkennt schnell, dass es wegen des komplizierten Netzwerks von Wasserläufen einer konkreten und begründeten Festlegung durch die niederländischen Behörden bedurfte, um die Länge des Rheins ab der deutsch-niederländischen Grenze zu bestimmen.

Erste Festlegung: Beginnend an der Grenze, wird der kürzeste Flussweg zur Nordsee gesucht.

Zweite Festlegung: Die Fließrichtung und die Wassermenge würde nahelegen, dass der Rheinstrom  Waal / Boven Merwede / Nieuwe Merwede  bei der Einmündung ins Hollandsch Diep die Nordsee erreicht (siehe Bilder 10 und 11). Dies wäre offensichtlich der gesuchte kürzeste Flussweg. Das sehen die Niederländer aber anders. Durch das Delta-Sperrwerk wurden das Hollandsch Diep und seine Verlängerung Haringvliet zu Binnenseen erklärt. [7] schreibt dazu: "1970 wurde der Haringvliet im Rahmen des Deltaplans mit dem Haringvlietdamm von der Nordsee getrennt und damit ein Teil des untersten Rheinlaufs, der seitdem erst beim Sperrwerk das Meer erreicht." Von der Gabelung Beneden/Nieuwe Merwede (siehe Bild 10) bis zum Abschlussdamm hat der Rhein eine Länge von 67 km. Das ist aber nicht der gesuchte kürzeste Weg. Misst man die Entfernungen der übrigen Flusswege von der deutschen Grenze bis zur Nordsee nach, findet man für die kürzeste Entfernung die Mündung bei Hoek van Holland, die von der Gabelung Beneden/Nieuwe Merwede 65,75 km entfernt liegt.

Schema NL
Bild 10   Rheindelta, schematisch


Delta

Bild 11   Rheindelta

Vergleich der wichtigsten Rheinarme (niederländische Bezeichnungen) ab der linksrheinischen deutsch-niederländischen Grenze bei km 865,515; siehe Bild 10: Es ist bemerkenswert, wie aberwitzig viele Bezeichnungen der Rhein in den Niederlanden hat.

Bild 12 zeigt, wie die Kilometrierungs-Lücke auf dem kürzesten Flussweg (s.o.) zustande kommt. Man sieht oben die km-Angaben am Ufer des Scheur; diese sind Teil der lückenlosen Kilometrierung (s.o. dritter Spiegelpunkt). Unten sieht man die km-Angaben am Ufer der Oude Maas, die zum kürzesten Flussweg gehören. Aus den Angaben des niederländischen Rijkswaterstaat Water Management Center (siehe [1]) lässt sich leicht ausrechnen, dass die Lücke 6,03 km beträgt.  –  In Bild 13 kann man sehen, wo genau diese Behörde die Mündung festgelegt hat (km 1.032,78).

km-Luecke Oude Maas

Bild 12   Einmündung Oude Maas in Lek / Scheur; Kilometrierungs-Lücke von 6,03 km


Muendung

Bild 13   Rheinmündung

Wir haben nun alle Zahlenangaben, die für Berechnung der Länge des Rheins erforderlich sind. Die folgende Tabelle zeigt eine Zusammenfassung:

209,5  teilkilometriert Lit.
          Quelle am Lago di Dentro di Cadlimo
   76,5 bis Zufluss Hinterrhein
        davon:
        25,4 Medelser Rhein
        51,1 Vorderrhein
[8]
[10]
[11]
    133   Alpenrhein + Mündungskanal + Bodensee
        davon:
        90    Alpenrhein
         4,55 Mündungskanal
        38,45 Bodensee bis Konstanzer Alte Brücke
[2]
1.025,51 kilometriert  
  1.032,78  Konstanz - Hoek van Holland, offizielle Kilometrierung
          davon abzuziehen:
          ./. 1,24 für drei kurze km
          ./. 6,03 km-Lücke Oude Maas
 Blog # 7 
Blog # 9
[1] für NL
1.235,01    

Tabelle 1

Die Flusslänge von 1.235,01 km täuscht natürlich eine Genauigkeit vor, die keineswegs gegeben ist. Insbesondere auf der nicht kilometrierten Strecke gibt es einige Unsicherheiten.

Die Festlegung auf ca. 1.235 km beruht auf mehreren Prämissen, die keineswegs zwingend sind; weicht man davon ab, kommt man zu anderen Ergebnissen, die ebenfalls plausibel sein können. Die Prämissen sind:
Unter diesen Prämissen gilt in guter Näherung:

Die Länge des Rheins beträgt 1.235 km.

Die "Fallen", die es bei der Berechnung zu vermeiden gilt, sind vor allem die "kurzen km" sowie die offizielle Festlegung der Niederlande, dass der Flussweg zur Mündung nicht der durchgehenden Kilometrierung (über den Lek) folgt, sondern der kürzesten Strecke nach Hoek van Holland.

Zu anderen Längen des Rheins kommt man, wenn man andere Quellflüsse als den Rein da Medel zugrunde legt. Insbesondere soll hier nochmal der in der Literatur oft erwähnte Tomasee genannt werden: In der Tabelle würde dann statt 76,5 km die Länge 72 km bis zum Hinterrhein stehen, und insgesamt kämen wir dann ungefähr auf die 1.230 km, die häufig als Rheinlänge genannt werden. Warum haben wir uns in diesem Beitrag nicht einfach dieser Zahl angeschlossen? Nun, für den Tomasee spricht keines der Kriterien  A - D .

Zweiter Exkurs   Ist die Maas ein Nebenfluss des Rheins?   Diese Frage berührt zwar nicht die Themen "Quelle" und "Länge" des Rheins, stellt sich aber aufmerksamen und am Rhein interessierten Lesern beim Studium von Bild 11. In der Tat ist das eine umstrittene Frage, die von Zeit zu Zeit unterschiedlich beantwortet wurde, da die Flusswege im Rheindelta immer wieder andere Verläufe nahmen und die Niederländer auch zahlreiche Eingriffe, z.B. Kanalverbindungen zwischen Flussarmen, vorgenommen haben. Diese Vorgeschichte soll aber außen vorgelassen werden; hier werden die heutigen Wasserläufe betrachtet, auch wenn sie durch Menschenhand geschaffen wurden.

Zunächst ist festzuhalten, dass die Maas ein bedeutender  –  d.h. wasserreicher und sehr langer  –  Fluss ist. Mit 874 km Länge gehört sie zu den längsten Flüssen West- und Mitteleuropas, damit übertrifft sie die Oder und die Rhone. Wenn man sie als Nebenfluss des Rheins betrachtet, ist sie dessen längster Zufluss und der zweit-wasserreichste (nach der Aare).

Der Hauptarm der Maas heißt auf seinem vorletzten Stück Bergsche Maas und auf dem letzten Stück Amer (wie schon beim Rhein gesehen  –  man schaue sich nur Bild 10 an  –  geben die Niederländer den Flüssen gerne wechselnde Namen; so auch bei der Maas). Vor der eigentlichen Mündung gibt es bereits drei Abzweigungen der Maas in die Waal: Maas-Waal-Kanal bei Nijmegen, Sint-Andries-Kanal bei Rossum und Heusdensch-Kanal / Afgedamde Maas bei Gorinchem. Das allein macht aber die Maas noch nicht zu einem Nebenfluss des Rheins.

Wir schauen uns die Mündung der Maas in Bild 11 an. Sie erreicht gemeinsam mit den Verlängerungen der Waal (die natürlich! auch anders heißen, nämlich Boven Merwede und Nieuwe Merwede) das Hollandsch Diep. Die Fließrichtung lässt keine Rückschlüsse auf die Nebenfluss-Frage zu, denn beide Flüsse fließen in etwa gleichem Winkel ins Hollandsch Diep. Aber von der Waal kommt die deutlich größere Wassermenge. Ist damit die Nebenfluss-Frage geklärt?

In den meisten Literatur- und Internetquellen gilt die Maas als Nebenfluss des Rheins. Die Begründung dafür ist die Festlegung, dass das Hollandsch Diep kein Teil der Nordsee ist, sondern zum Rhein gehört. Was weiter oben über den niederländischen Rhein geschrieben wurde, soll nochmal wiederholt werden: Durch das Delta-Sperrwerk wurden das Hollandsch Diep und seine Verlängerung Haringvliet zu Binnenseen erklärt. [7] schreibt dazu: "1970 wurde der Haringvliet im Rahmen des Deltaplans mit dem Haringvlietdamm von der Nordsee getrennt und damit ein Teil des untersten Rheinlaufs, der seitdem erst beim Sperrwerk das Meer erreicht."

Diese Festlegung ist letztlich entscheidend. Denn ein genauer Blick auf Bild 11 zeigt, dass die Maas (hier Amer) ins Hollandsch Diep und nicht in die Waal (hier Nieuwe Merwede) mündet. Wenn man Hollandsch Diep und Haringvliet als Teil der Nordsee auffasst  –  das steht jedem frei und ist keineswegs unplausibel  –  ist die Maas kein Nebenfluss des Rheins. Bis 1970, als der Haringvlietdamm gebaut wurde, galt entsprechend die Maas nicht als Nebenfluss des Rheins. Die gängige Auffassung ist jedoch, dass seitdem der wasserreichste Rheinarm mit der Waal als Mittelteil erst am Haringvlietdamm mündet (siehe erster Spiegelpunkt unter Bild 11).  –  Der Haringvlietdamm ist aber eigentlich kein "Damm"; er hat mehrere Durchlässe zwischen Nordsee und Haringvliet, die offen oder geschlossen sein können. Zur Verteidigung des Standpunkts "kein Nebenfluss" ließe sich also anmerken, dass der Status des Haringvliet und des Hollandsch Diep als "Binnenseen" fragwürdig ist, da es einen Wasseraustausch mit der Nordsee gibt. Dieser wird im Damm durch 17 Tore, je 62 m breit, mehrere Fischtunnel und eine Schiffsschleuse sichergestellt.


Quellenangaben

Karten: map.schweizmobil.ch  und  OpenStreetMap

[1]  Internationale Kommission für die Hydrologie des Rheingebietes: Länge des Rheins

[2]  Internationale Rheinregulierung: Der Alpenrhein

[3]  Kremer, B.: Der Rhein - Von den Alpen bis zur Nordsee, Mercator-Verlag

[4]  Kremer, B.: Die Kilometrierung des Rheins, in: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2010, S. 136 - 141

[5]  Süddeutsche Zeitung: Jahrhundert-Irrtum, 28.3.2010

[6]  Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes: Längen der Hauptschifffahrtswege der Binnenwasserstraßen des Bundes, Liste 4

[7]  Wikipedia: Haringvliet

[8]  Wikipedia: Rein da Medel

[9]  Wikipedia: Rhein

[10]  Wikipedia: Rheinquelle

[11]  Wikipedia: Vorderrhein



Kategorie: Geomathematik                    Kommentare sind willkommen.



Stand 2024-04-30


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