Dodekaeder    MB Matheblog # 38 Inhalt Blog
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2024-12-26


Beweis mit Schokolade                    Kommentare sind willkommen.


Unendliche Reihen sind ein wichtiges Teilgebiet der Analysis. Unter bestimmten Umständen ist der der Grenzwert  Σj∈N aj  eine reelle Zahl. Ein gutes Beispiel ist die geometrische Reihe (wir lassen sie hier bei  j = 1  anfangen, aber auch andere Startwerte sind möglich):

Σj∈N qj = q/(1-q)  für  |q|< 1

Nun gibt es für positive rationale  q = m/n  einen einfachen und anschaulichen Beweis, der ohne Induktion auskommt. Für den Spezialfall  q = 1/4  habe ich ihn auf der Website  Plus  gefunden. Er ist ein Paradebeispiel für einen geschickten, originellen und amüsanten Beweis.

In  Plus  geht es um Schokoladenriegel, die innerhalb der Verpackung jeweils einen Gutschein beinhalten. Wir schauen uns zwei Beispiele an:


1. Beispiel   Für fünf Gutscheine erhält man einen Riegel geschenkt.

Vorsicht: Das ist eigentlich nicht ganz korrekt formuliert. Der geschenkte Riegel kommt ja zusammen mit einem Gutschein. Also muss es eigentlich heißen:

(1a)  5 Gutscheine = 1 Riegelpackung = 1 Riegel + 1 Gutschein

Wenn wir also wissen wollen, wieviel Schokolade einem Gutschein entspricht, zeigt (1a) die Antwort:

(2a)  1 Gutschein = 1/4 Riegel

Aber wie kommt hier die geometrische Reihe ins Spiel? Nun, man kann den Wert eines Gutscheins statt wie in (2a) auch anders berechnen, unter Verwendung von (1a):

(3a)  1 Gutschein
      = 1/5 Riegel + 1/5 Gutschein
      = 1/5 Riegel + (1/5)2 Riegel + (1/5)2 Gutschein
      = 1/5 Riegel + (1/5)2 Riegel + (1/5)3 Riegel + (1/5)3 Gutschein
      = 1/5 Riegel + (1/5)2 Riegel + (1/5)3 Riegel + (1/5)4 Riegel + (1/5)4 Gutschein


Das lässt sich beliebig fortführen, und man erhält:

(4a)  1 Gutschein = (1/5 + (1/5)2 + (1/5)3 + (1/5)4 + ... + (1/5)j + ...) Riegel

Klar ist, dass (4a) mathematisch nicht besonders stringent, sondern eher salopp hergeleitet wurde. Insbesondere wurde einfach unterstellt, dass man  "+ (1/5)j Gutschein"  für große  j  bei Anwendung von  "..."  ignorieren darf. Nun geht es aber hier nicht um eine Analysis-Vorlesung, sondern um den Einsatz einfacher, anschaulicher Methoden, um einen neuen Blick auf bekannte Formeln zu werfen. Daher scheint die Folgerung (4a) erlaubt; immerhin stammt dieser Beweis aus dem Isaac Newton Institute und der Universität Cambridge, die mit der Plus-Website Interesse und Verständnis für Mathematik wecken wollen, vor allem bei jungen Leuten.

Und nun geht es schnell zum Ziel. Aus (4a) und (2a) folgt:

Σj∈N (1/5)j = 1/4


2. Beispiel   Für neun Gutscheine erhält man zwei Riegelpackungen geschenkt.

Analog zum 1. Beispiel folgt:

(1b)  9 Gutscheine = 2 Riegel + 2 Gutscheine

(2b)  1 Gutschein = 2/7 Riegel

(3b)  1 Gutschein
      = 2/9 Riegel + 2/9 Gutschein
      = 2/9 Riegel + (2/9)2 Riegel + (2/9)2 Gutschein
      = 2/9 Riegel + (2/9)2 Riegel + (2/9)3 Riegel + (2/9)3 Gutschein
      = 2/9 Riegel + (2/9)2 Riegel + (2/9)3 Riegel + (2/9)4 Riegel + (2/9)4 Gutschein


(4b)  1 Gutschein = (2/9 + (2/9)2 + (2/9)3 + (2/9)4 + ... + (2/9)j + ...) Riegel

Aus (4b) und (2b) folgt:

Σj∈N (2/9)j = 2/7


Allgemein   Für  n  Gutscheine erhält man  m  Riegelpackungen.

Analog zu den Beispielen folgt:

(1c)  n Gutscheine = m Riegel + m Gutscheine

(2c)  1 Gutschein = m/(n-m) Riegel

(3c)  1 Gutschein
      = m/n Riegel + m/n Gutschein
      = m/n Riegel + (m/n)2 Riegel + (m/n)2 Gutschein
      = m/n Riegel + (m/n)2 Riegel + (m/n)3 Riegel + (m/n)3 Gutschein
      = m/n Riegel + (m/n)2 Riegel + (m/n)3 Riegel + (m/n)4 Riegel + (m/n)4 Gutschein


(4c)  1 Gutschein = (m/n + (m/n)2 + (m/n)3 + (m/n)4 + ... + (m/n)j + ...) Riegel

Aus (4c) und (2c) folgt:

Σj∈N (m/n)j = m/(n-m) = 1/(n/m - 1)

Nach der Formel am Anfang dieses Beitrags für die geometrische Reihe erhalten wir  –  wie erwartet  –  als Summenwert  (m/n)/(1 - m/n) = 1/(n/m - 1).


In  Plus  wird die Geschichte noch weitererzählt. Wir wandeln sie ein wenig ab und verwenden das 1. Beispiel: Wie nutzt eine Kundin aus, dass sich  4  Gutscheine in  1  Riegel umtauschen lassen müssten?  –  Sie sammelt  4  Gutscheine und erscheint im Laden. Sie nimmt eine Riegelpackung aus dem Regal, öffnet sie, entnimmt den Gutschein und beißt ein Stück Schokolade ab. An der Kasse sagt sie, sie sei von Heißhunger überfallen worden und weist ihre nunmehr  5  Gutscheine für die Bezahlung vor.  –  Dem Kassierer kann übrigens völlig egal sein, ob sich der Gutschein noch in der angebrochenen Packung befindet.

Im allgemeinen Fall ist die Durchführung etwas schwieriger, aber machbar: Die Kundin sammelt  n-m  Gutscheine, die sie gemäß der obigen Rechnung in  m  Riegel umwandeln will. Sie nimmt  m  Riegelpackungen aus dem Regal, öffnet sie, entnimmt die  m  Gutscheine und beißt von allen ein Stück Schokolade ab. An der Kasse sagt sie (zu dem sicherlich erstaunten und misstrauischen Kassierer), sie sei von Heißhunger überfallen worden und weist ihre nunmehr  n  Gutscheine für die Bezahlung vor. Sie hat durch diesen Trick den Laden nicht geschädigt  –  der Handel ist absolut fair!

Kann man sich dieses Verfahren gut merken? Ich denke schon. Wir wollen z.B. die Summe aller  (3/13)j  ausrechnen:

 (3/13)j
    
     → → → → → → → → → → → → → → → → →
                                      
Für 13 Gutscheine erhält man 3 Tafeln + 3 Gutscheine.

Also geht man mit  13 - 3 = 10  Gutscheinen in den Laden und hat beim Hinausgehen  3  Riegel. Somit ist  1  Gutschein soviel wert wie  3/10  Tafeln, und das ist dann auch der Summenwert:

Σj∈N (3/13)j = 3/10



Stand 2023-03-25


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Manfred Börgens   |   Zur Leitseite