2021-01-31
Rhein-Kilometrierung Teil 2 Kommentare sind willkommen.
In diesem zweiten Teil verschaffen wir uns einen Überblick über die gesamte Kilometrierung des Rheins. Die heutige Kilometrierung basiert zum größten Teil auf Vermessungen, die von den Ländern Schweiz, Baden, Frankreich, Bayern (für die Pfalz), Hessen, Preußen und Niederlande ab 1883 bis 1910 durchgeführt wurden. Allerdings fanden diese Vermessungen weitgehend unabhängig voneinander statt - insbesondere hatten sie unterschiedliche Nullpunkte. Das führte naturgemäß zu Schwierigkeiten bei der vereinheitlichten Kilometrierung, die 1939 eingeführt wurde und von Konstanz (erste km-Tafel 0 an der Alten Brücke) bis zur Halbinsel Maasvlakte (letzte km-Tafel 1035) läuft.
Die beteiligten Länder hatten km-Tafeln, Hektometersteine und Bodenmarkierungen angebracht (siehe Teil 1), die sie nicht zugunsten einer durchgehenden Kilometrierung aufgeben wollten; die km-Tafeln an den vollen Kilometern sollten 1939 lediglich übermalt werden. Das führte natürlich dazu, dass an den Grenzen die Vermessungspunkte nicht zusammenpassten; außerdem hatte die Schweiz stromaufwärts gezählt.
Manche Vermessungspunkte mussten ganz aufgegeben werden; umgekehrt sieht man heute km-Tafeln, an denen vor 1939 keine Vermessungspunkte lagen - dies wird weiter unten und in Teil 3 noch erläutert. In Teil 1 gab es dazu schon mehrere Beispiele: Bild 1 (links und Mitte), Bilder 2 und 3, Bild 4 (rechts). Das folgende Bild 1 zeigt weitere Beispiele:
Bild 1
Links preußische Hektometer-Marke 3,3 am rechten Rheinufer in Wiesbaden-Schierstein, beim heutigen km 505,17 , also ohne moderne Entsprechung
Rechts moderne km-Tafel 518 am rechten Rheinufer in Oestrich, mit Rheinpegel; neu geschaffener Vermessungspunkt aus dem Jahr 1939
An den Vermessungsarbeiten waren alle Anliegerstaaten beteiligt. Einen Überblick gibt die folgende Karte, die die Grenzen zwischen 1871 und 1918 zeigt:
Die folgende Grafik (Bild 2) zeigt schematisch (und nicht maßstäblich) den Verlauf der heutigen Kilometrierung (schwarze Schilder mit Landes-Grenzen im Fluss) sowie der früheren landesspezifischen Kilometrierung (farbige Schilder; stromaufwärts orientierte Zählungen sind durch ein Dreieck in der linken oberen Ecke kenntlich gemacht).
Die Grafik zeigt lediglich die Tafeln für die vollen Kilometer. Unter der Grafik folgen ausführliche Erläuterungen zu den einzelnen Rheinabschnitten, in denen genauere Angaben gemacht werden.
Die farbigen Schilder stehen für km-Tafeln, die 1939 übermalt wurden (soweit sie vorhanden waren) - und zwar mit den Zahlen in den schwarzen Schildern in der Grafik. Also wurde z.B. aus km 272 (Hessen) km 439 . Bei den farbigen Schildern gibt es Lücken. Dies bedeutet, dass die früheren Vermessungspunkte 1939 aufgegeben wurden und neue an anderer Stelle gesetzt wurden (wie in Bild 1).
Bild 2 Rhein-Kilometrierung - schwarz: seit 1939, farbig: vor 1939
Mit den Pfeilen rechts unten lässt sich dieses Bild zur permanenten Ansicht aufklappen (und wieder einklappen).
Hochrhein (heutige km 0 bis km 170)
Zum besseren Verständnis der Kilometrierung, so wie wir sie heutzutage am Rhein sehen, schauen wir uns den km 44 an, der als "Ankerpunkt" für alle Markierungen gelten kann. Dieser Punkt liegt auf beiden Rheinseiten in der Schweiz, linksrheinisch im Kanton Zürich, rechtsrheinisch im Kanton Schaffhausen. Die Schweizer Vermessung (orange in Bild 2) begann in Basel an der nördlichen Stadtgrenze zu Baden (km 0 am Dreiländereck Deutschland - Frankreich - Schweiz) und lief stromaufwärts bis zur Brücke Schaffhausen-Feuerthalen (km 126,3; heute bei km 43,7). Rechtsrheinisch entsprach dies wohl der badischen Zählung; Baden hatte auch den weitaus größeren Anteil an der rechten Uferlinie (darauf wird weiter unten noch eingegangen). Linksrheinisch begann die Schweizer Zählung erst bei km 1,6 , denn nördlich (also stromabwärts) davon lag während der Vermessungsarbeiten das "Reichsland Elsaß-Lothringen", d.h. der Teil Frankreichs, der 1871 an das Deutsche Reich abgetreten worden war. Nun sollten also 1939 die Schweizer und badischen km-Punkte von 0 bis 126 beibehalten und die zugehörigen km-Schilder (soweit vorhanden) übermalt werden. Da eine durchgehende Kilometrierung stromabwärts ab Konstanz vorgesehen war, musste festgelegt werden, welcher volle km an die Stelle des alten km 126 treten sollte. Die aktuellste Vermessung, die 1939 vorlag, hatte die Distanz von der Alten Brücke Konstanz bis zu obersten Schaffhausener Brücke (nach Feuerthalen) zu 43,3 km ermittelt; das ergab eine Distanz bis zum alten km 126 von 43,6 km . Folglich erhielt dieser km-Punkt die neue Angabe km 44 . Für die fehlenden 400 m wurde ein "kurzer Kilometer" oberhalb von Stein am Rhein eingerichtet (rechtsrheinisch am badischen Ufer, linksrheinisch am Schweizer Ufer); zwischen Rhein-km 22 und 23 liegen nur 600 m .
Damit waren alle neuen km-Punkte rechtsrheinisch von km 0 bis km 170 und linksrheinisch von km 0 bis km 168 festgelegt. km 0 bis km 44 folgten einer Neuvermessung incl. des "kurzen Kilometers". Aus den alten km 126 bis km 0 (Schweiz/Baden) wurden km 44 bis km 170 (nun stromabwärts statt stromaufwärts orientiert).
Man mag sich fragen, welche "alte" Vermessung oberhalb von Schaffhausen Gültigkeit hatte. Nach [3] zählte die Schweiz ab Schaffhausen erneut ab km 0 stromaufwärts bis Konstanz und hatte diese Distanz zu 44,1 km ermittelt; dies waren 800 m mehr als die Festlegung von 1939. Die badische Vermessung des Hochrheins dagegen begann zwar auch an der nördlichen Grenze von Baden und Basel bei km 0 und lief stromaufwärts, zählte aber durchgehend (d.h. ohne Unterbrechung in Schaffhausen). Dies erkennt man an der Markierung km 135,602 auf der Brücke zwischen Gailingen und Diessenhofen (Bild 3). Die Brücke steht am heutigen km 34,77 , also 8,93 km oberhalb der Schaffhausener Brücke. Wäre die Schweizer Kilometrierung durchgehend vorgenommen worden, hätte sie an der Gailinger Brücke 126,3 + 8,93 = 135,23 km ergeben. Wegen der recht guten Übereinstimmung mit der Angabe auf der badischen Plakette ist anzunehmen, dass von Basel bis Schaffhausen die badische und die Schweizer Kilometrierung übereinstimmten.
Bild 3 Badische km-Markierung 135,602 bei km 34,425 auf der Brücke zwischen Gailingen und Diessenhofen am Hochrhein
Baden - Oberrhein (heutige km 171 bis km 436)
Baden liegt unterhalb Basel rechtsrheinisch und hat den badischen km 0 doppelt genutzt: Stromaufwärts wie bereits geschildert und stromabwärts bis zur Grenze nach Hessen beim badischen km 266,635 . Alle Hektometersteine konnten für die neue Kilometrierung übernommen werden; bei den vollen Kilometern wurden die Tafeln übermalt: km 0 zu km 170 war schon durch den Hochrhein vorgegeben, also wurde der letzte volle badische km 266 zu km 436 .
Auf der linken Rheinseite, also im Elsass (während der Vermessungsarbeiten Teil des "Reichslands Elsaß-Lothringen"), wurde wohl die badische Kilometrierung übernommen. Das ging nach [3] bis zum badischen km 182,07 an der Grenze zur (bayrischen) Pfalz, so dass km 182 zu km 352 wurde. Oberhalb des badischen km 0 begann das linksrheinische Schweizer Territorium erst bei km 1,6 stromaufwärts, also wurde dort der km 1 zum km 169 .
Hessen rechtsrheinisch (heutige km 437 bis km 501)
Die hessische Vermessung des Rheins unterschied sich in einem wesentlichen Punkt von den Vermessungen in den anderen Ländern. Sie begann nicht an der Landesgrenze mit dem km 0 , sondern setzte ihren Nullpunkt an der mittleren Baseler Brücke (Alte Brücke) fest, am heutigen km 166,64 und am früheren Schweizer km 3,36 . Das hat eine wichtige Konsequenz, die man bis heute am Rheinufer sehen kann: Die Myriametersteine, die ab 1867 im Abstand von jeweils 10 km - beginnend an der mittleren Baseler Brücke - aufgestellt worden waren und in Folge 3 noch besprochen werden, standen in Hessen (und nur dort) "an der richtigen Stelle" und stehen deshalb noch heute im Gebiet des ehemaligen Großherzogtums Hessen-Darmstadt exakt an den großen km-Tafeln (siehe Bild 4).
Bild 4 Der linksrheinische Myriameterstein XXXV (350 km unterhalb Basel, auf der Sandaue bei Ingelheim-Frei-Weinheim) stand exakt am hessischen km 350 ; die Tafel wurde 1939 zu km 517 übermalt (später wurde diese Tafel in leichterer Bauweise erneuert, wie viele andere Tafeln auch).
Das Großherzogtum reichte rechtsrheinisch etwas weiter nach Süden als linksrheinisch. Aus diesem Grunde begann die hessische km-Zählung am rechten Rheinufer an der Grenze zu Baden, die fast genau auf dem hessischen km 270 (ab Basel) lag (und heute noch liegt). Sie endete rechtsrheinisch an der Grenze zu Preußen (Gemeindegrenze zwischen Amöneburg und Biebrich) beim hessischen km 334,9 . Alle Hektometersteine auf dieser Uferstrecke wurden 1939 übernommen - aber das bedeutete, dass an der Grenze zu Baden ein "kurzer Kilometer" festgelegt werden musste. Wir hatten ja schon gesehen, dass die Grenze beim heutigen km 436,635 liegt; also wurde die erste hessische km-Tafel 270 mit km 437 übermalt, somit fehlen dort 365 m . Am unteren Ende des rechten hessischen Rheinufers wurde die km-Tafel 334 zu 501 , und der letzte Hektometerstein 334,9 wurde zu 501,9 .
Pfalz (zu Bayern, linksrheinisch, heutige km 353 bis km 438)
Die bayrische Vermessung begann bei km 0 (heutiger km 352,07 nach [3]) und endete an der hessischen Grenze bei km 85,7 (heutiger km 438,4). Zwischen der bayrischen km-Differenz (85,7 km) und der heute sichtbaren (86,33 km) gibt es also einen Unterschied von 630 m . Davon entfallen 365 m auf den "kurzen Kilometer", der rechtsrheinisch erforderlich wurde und schon besprochen wurde, und 265 m , um die sich alte Vermessung von der neuen unterschied.
Aus gutem Grund wurde die Kilometrierung in der Pfalz gänzlich aufgegeben und ab 1939 der rechtsrheinischen Kilometrierung angeglichen: Die Hektometersteine auf den beiden Ufern standen sich bis dahin nicht gegenüber.
Hessen linksrheinisch (heutige km 439 bis km 529)
Die linksrheinischen hessischen km-Tafeln 272 bis 334 folgten naturgemäß den gegenüberliegenden Tafeln und wurden 1939 mit km 439 bis km 501 übermalt. Die linksrheinische Landesgrenze nach Preußen lag in der Nahemündung bei km 362,22 . Somit wurden die hessischen km-Tafeln 335 bis 362 mit km 502 bis km 529 übermalt.
Preußen (rechtsrheinisch: heutige km 502 bis km 857 ; linksrheinisch: heutige km 530 bis km 865)
Die preußische Zählung begann mit km 0 nahe der rechtsrheinischen Landesgrenze zu Hessen zwischen Amöneburg und Biebrich, die seit 1866 bestand. Gegenüber dieser Grenze stand, wie bereits erwähnt, der hessische Hektometerstein 334,9 . Also standen sich bis zur Nahemündung (ab dort lag auf beiden Ufern preußisches Gebiet) die km-Tafeln nicht gegenüber. Der erste preußische km-Tafel, die an beiden Ufern stand, war km 28 . Diese stand 525 m unterhalb des hessischen km 362 (letzte hessische km-Tafel; nur linksrheinisch). Also wurde dort ein "kurzer Kilometer" erforderlich. Da aus dem hessischen km 362 der neue km 529 wurde, musste der preußische km 28 zu km 530 werden; zwischen diesen beiden liegen demnach nur 525 m (siehe Bild 5).
Bild 5 "Kurzer Kilometer" bei Bingerbrück
Die rechtsrheinische preußische Kilometrierung bis km 28 wurde aufgegeben; auf dieser Strecke wurde die linksrheinische Kilometrierung übernommen. Dazu wird man Genaueres in Teil 3 lesen.
Die Grenze zwischen Preußen (heute Deutschland) und den Niederlanden verläuft auf einer Strecke von ca. 7,85 km durch die Strommitte des Rheins. Rechtsrheinisch liegt sie bei ca. km 857,67 (preußisch km 355,67), linksrheinisch bei ca. km 865,52 (preußisch km 363,52).
Die niederländische Kilometrierung wird in Teil 4 erläutert.
Literatur
[1] Bruno P. Kremer, Der Rhein: Von den Alpen bis zur Nordsee. Duisburg 2010
[2] Bruno P. Kremer, Die Kilometrierung des Rheins, in: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2010, S. 136-141
[3] Wilhelm Schneider, Die Längenmessung im Talweg des Rheines (Kilometrierung), in: Der Rhein. Ausbau, Verkehr, Verwaltung. Duisburg 1951
Kategorie: Geomathematik Kommentare sind willkommen.
Stand 2020-12-18
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