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2021-01-14


Rhein-Kilometrierung    Teil 1                    Kommentare sind willkommen.


Wer am Rhein wandert oder eine Fahrt mit einem Rheinschiff unternimmt, sieht die großen Kilometertafeln auf den Ufern (Bild 1). Sie dienen vor allem der Schifffahrt und haben eine interessante Geschichte, die bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht.

Entfernungsmarkierungen entlang von Landstraßen, z.B. "Meilensteine", gibt es schon seit der Antike. Es ist erstaunlich, dass die Wasserstraßen, die in früheren Zeiten vielfach die wichtigeren Reise- und Handelswege waren, erst seit etwa 200 Jahren vermessen und mit Streckenmarkierungen versehen wurden.

525,0   519,0   257,0

Bild 1   km-Tafel  525  am rechten Rheinufer zwischen Geisenheim und Rüdesheim im Rheingau
Bild 1   km-Tafel  519  auf einem Leitwerk mitten im Rhein; Blick auf Winkel im Rheingau von der Autofähre Frei-Weinheim - Mittelheim
Bild 1   km-Tafel  257  auf dem linken Ufer der Rheininsel Ile de Rhinau im Elsass

Lässt man sich solche Tafeln erklären, so erhält man meist die Auskunft, dass sie die Entfernung (in vollen Kilometern) von der Alten Brücke in Konstanz angeben, gemessen stromabwärts entlang des Flussverlaufs. Diese Erklärung ist weitgehend richtig, aber nicht vollständig. Will man es ganz genau wissen, gerät man schnell in die Geschichte der Rhein-Vermessung, die alles andere als geradlinig verlaufen ist und einige unerwartete Besonderheiten aufweist (siehe [1] - [3], Literaturverzeichnis am Ende des Beitrags).

Die Vermessung des Rheins ist das Thema dieses Blog-Beitrags und der nächsten Beiträge. Wir bewegen uns dabei im Gebiet der Geomathematik und der Geodäsie und ihrer historischen Entwicklung.


Präfixe, die im Folgenden
häufig verwendet werden:

Hekto- =    100
Kilo-  =  1.000
Myria- = 10.000


Welche Markierungen außer den km-Tafeln wie in Bild 1 fallen einem noch auf ?  Alle  100 Meter  stehen kleinere Tafeln (Hektometertafeln) wie z.B. diese:

516,4

Bild 2   Hektometer-Tafel  516,4  auf dem rechten Ufer der Rheininsel Mariannenaue im Rheingau

Von den Tafeln wie in Bild 2 gibt es jeweils acht zwischen den vollen Kilometern, denn die Hektometertafeln bei den halben Kilometern sehen anders aus:

527,5

Bild 3   Hektometer-Tafel  527,5  am rechten Rheinufer bei der Rüdesheimer Autofähre


Am Fuß der Tafeln findet man oft metallene Marken wie diese:

538,3    522,9

Bild 4   Links alte Hektometer-Marke  638,3  am linken Rheinufer in Oberwinter, rechts moderne Hektometer-Marke  522,9  am rechten Rheinufer in Geisenheim


Auch die Tafeln an den vollen Kilometern fallen unter Hektometertafeln. Die Tafeln und die zugehörigen Marken werden zusammenfassend mit Hektometermarken oder -markierungen bezeichnet; sie stehen an Hektometerpunkten. Dies sind Vermessungspunkte, die 1939 festgelegt wurden, aber zu einem großen Teil aus älteren geodätischen Messungen stammen. Erst seit dem 1.4.1939 gibt es eine durchgehende Kilometrierung von der Alten Brücke in Konstanz (Vermessungspunkt  km 0,0  mit km-Schild  0 ,  siehe Bild 4a) bis etwas westlich der Mündung des Rheinarms "Nieuwe Waterweg" in die Nordsee bei  km 1036,2 .  Diese heutige Kilometrierung ist international zwischen der Schweiz, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden vereinbart. "Kilometrierung" bedeutet allerdings nicht die lückenlose Ausschilderung und Bodenmarkierung an den 1939 festgelegten Hektometerpunkten: Während entlang des deutschen Rheins nördlich von Basel die Tafeln fast vollständig vorhanden sind, fehlen am Hochrhein (Schweiz/Deutschland) zahlreiche Markierungen, und in den Niederlanden wurden nur die vollen Kilometer mit Tafeln versehen.

0   0

Bild 4a   Beginn der Rhein-Kilometrierung. Unter der Alten Konstanzer Brücke endet der Obersee des Bodensees und beginnt der "Seerhein", der auf dem Bild nach rechts abfließt.

Diese Kilometrierung des Rheins gibt nicht seine wahre Länge wieder. Von der Quelle bis zur Mündung ist der Rhein ca. 1233 km  lang; gegenüber dem "ausgeschilderten" Rhein fehlen der Alpenrhein und der Flussverlauf durch den Obersee des Bodensees.

Die Abstandsmessungen zwischen den Hektometerpunkten wurden nach [3] von Stein am Rhein (km 25,4) bis Au am Rhein (km 352,07) entlang des deutschen Rheinufers bzw. des rechten Schweizer Rheinufers vorgenommen. Auf der übrigen Strecke nahm man die Länge entlang der Strommittellinie (genauer: entlang des "Talwegs", d.h. entlang der der Linie der tiefsten Peilung im Profil des Flussbetts). Dabei ist von mathematischem Interesse, dass nach [3] der Talweg auf hessischem Gebiet (km 437,0 - km 529,22 ;  vermutlich auch in anderen Ländern) ausschließlich mit Geraden und Kreisbögen modelliert wurde.

Der aufmerksame Beobachter findet am Rheinufer noch viele andere Vermessungspunkte und Markierungen. Diese erscheinen inkonsistent mit der heutigen Kilometrierung, stehen aber in engem Zusammenhang mit der vereinheitlichten Rheinvermessung von 1939. Vier davon sollen hier gezeigt werden und in weiteren Teilen dieses Rhein-Blogs erklärt werden.

527,03    511,182    526,892    034,425

Bild 5   Myriameterstein  XXXVI  bei  km 527,03  am rechten Rheinufer in Rüdesheim im Rheingau
Bild 5   Preußische Hektometermarke  9,5  bei  km 511,182  am rechten Rheinufer in Eltville im Rheingau
Bild 5   Preußischer Hektometerstein  25,5  bei  km 526,892  am rechten Rheinufer in Rüdesheim im Rheingau
Bild 5   Badische km-Markierung  135,602  bei  km 34,425  auf der Brücke zwischen Gailingen und Diessenhofen am Hochrhein


Die Markierungen in Bild 5 werfen Fragen auf, wann und wie ältere Rheinvermessungen vorgenommen worden sind und in welchem Zusammenhang sie mit der heutigen Kilometrierung stehen. Weitere Blogbeiträge werden sich diesem Thema widmen  -  sowie der abschließenden Frage in diesem Beitrag, die sich sicher schon viele Schiffsreisende auf dem Mittelrhein bei Bingen gestellt haben, siehe Bild 6 :

530,0

Bild 6   Hektometer-Tafeln  529,5  und  530,0  auf dem linken Rheinufer bei Bingerbrück

Was sieht man in Bild 6 ?  Erstaunlicherweise fehlen die Hektometertafeln  6, 7, 8  und  9  -  die Tafeln  529,5  und  530,0  stehen nur  25 m  voneinander entfernt. Eingeweihte wissen natürlich, dass es sich wegen der fehlenden  475 m  um den "kurzen Kilometer" von Bingen handelt. Im nächsten Beitrag werden wir das erklären.


Literatur

[1]  Bruno P. Kremer, Der Rhein: Von den Alpen bis zur Nordsee. Duisburg 2010
[2]  Bruno P. Kremer, Die Kilometrierung des Rheins, in: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2010, S. 136-141
[3]  Wilhelm Schneider, Die Längenmessung im Talweg des Rheines (Kilometrierung), in: Der Rhein. Ausbau, Verkehr, Verwaltung. Duisburg 1951


Kategorie: Geomathematik                    Kommentare sind willkommen.


Stand 2020-12-23


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