Manfred Börgens
Mathematische Probleme  # 107
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Kreiskette

          Die Lösung steht im unteren Teil der Seite.

Wir wollen Kreise in einer bestimmten Weise aneinanderreihen. Der Start des Verfahrens ist in Bild 1 zu sehen. Wir beginnen mit einem Kreis mit Radius  1  und Mittelpunkt (0,1)  -  Bild 1 zeigt davon nur die rechte Hälfte  -  und einem kleineren Kreis, der seinen Fußpunkt auf der positiven waagerechten Achse hat und den großen Kreis in einem Punkt tangential berührt.

2 Kreise

Bild 1

Die übrigen Kreise werden in zwei Schritten hinzugefügt. Im ersten Schritt werden rechts von den beiden Ausgangskreisen Kreise mit Fußpunkten auf der waagerechten Achse angefügt, die jeweils den kleineren Kreis links von ihnen und den ersten großen Kreis ganz links (mit Radius  1 ) tangential berühren. Dies sieht man in Bild 2. Offensichtlich kommt dieses Verfahren zu seinem Ende, wenn der Radius des zuletzt konstruierten Kreises   1  bzw. sein Fußpunkt   2  ist. Bei der Ausgangslage wie in Bild 1 kann man also nur zwei weitere Kreise konstruieren:

4 Kreise

Bild 2

Der zweite Schritt verfährt analog zum ersten, aber jetzt werden die Kreise nach links angelegt. Hier ist keine Obergrenze für die Anzahl der Kreise zu erkennen. In Bild 3 sieht man drei von ihnen (in Orange), aber man hätte auch noch mehr skizzieren können. Die grünen Kreise stammen aus Schritt 1.

7 Kreise

Bild 3

Für die weitere Diskussion wollen wir die Fußpunkte der Kreise benennen. Die  x-Koordinaten der Fußpunkte der beiden Kreise in Bild 1 seien  0  und  a ,  dabei sei  a > 0  beliebig gewählt. Die Fußpunkte aus dem ersten Schritt seien  tj , j = 1,2,... ;  die Fußpunkte aus dem zweiten Schritt seien  sj , j = 1,2,... ;  die Nummerierung folgt der Reihenfolge der Konstruktion, siehe Bild 4.


Fusspunkte

Bild 4


Kleine Vorüberlegung

Geben Sie eine Schätzung ab  -  ohne zu rechnen  - , wie groß der größte Kreis (ganz rechts) werden kann.


Aufgabe 1

Bestimmen Sie die Radien der konstruierten Kreise in Abhängigkeit von ihren Fußpunkten.

Die Radien, die zu  tj  gehören, sollen mit  hj  bezeichnet werden; die zu  sj  gehörigen mit  gj . Zusätzlich setzen wir  t0 = s0 = a . Für den Radius  b  des Kreises mit Fußpunkt  a  wird entsprechend  h0 = g0 = b  definiert. Die Mittelpunkte der Kreise (außer dem ganz linken) sind also (tj,hj) und (sj,gj) , j = 0,1,2,...


Aufgabe 2

Zeigen Sie, wie man einen neuen Kreis an die vorhandenen anlegt, d.h. bestimmen Sie  tj+1  aus  tj  und  sj+1  aus  sj  für  j  No  (die entsprechenden Radien ergeben sich dann aus Aufgabe 1).
Aus der Berechnung ergibt sich auch, wie groß  tj  werden muss, damit das Verfahren abbricht. Ferner zeigt sich, dass es eine solche Beschränkung für  sj  nicht gibt, was uns anschaulich schon klar ist.


Aufgabe 3

Eine vollständige Induktion soll nun auf geschlossene Darstellungen der Fußpunkte  tj  und  sj  (und damit der Radien  hj  und  gj ) führen. Diese hängen dann alle nur von  a  ab. Wie schon bei Aufgabe 2 ergibt sich, dass links vom Kreis mit Fußpunkt  a  unendlich viele Kreise liegen. Rechts davon lässt sich jetzt genau angeben, wieviele Kreise konstruiert werden können.


Aufgabe 4

Für welche  a  lässt sich die Summe aller Kreisflächen explizit berechnen  -  und mit welchem Ergebnis ?



Lösung



Aufgabe 1

Bestimmen Sie die Radien der konstruierten Kreise in Abhängigkeit von ihren Fußpunkten.


Wir führen die Berechnung zunächst für den Kreis mit Fußpunkt  a  aus und bestimmen dessen Radius  b .  Der Mittelpunkt (a,b) dieses Kreises hat dann vom Mittelpunkt (0,1) des linken Kreises den Abstand  1+b  (siehe Bild 5), also gilt:

a2 + (1-b)2 = (1+b)2  ⇒  b = a2/4

Der Betrag um  1-b  in Bild 5 ist erforderlich, da  a  so gewählt werden kann, dass  b > 1  ist und deshalb die Kathetenlänge  b-1  beträgt; der rechte Winkel liegt in diesem Fall oberhalb von (0,1).

Pythagoras

Bild 5

Auf gleiche Weise folgt   hj = tj2/4  und  gj = sj2/4 .


Aufgabe 2

Zeigen Sie, wie man einen neuen Kreis an die vorhandenen anlegt.


In Bild 6 soll der linke Kreis den Fußpunkt  tj  haben und der rechte den Fußpunkt  tj+1 . Die Katheten des eingezeichneten rechtwinkligen Dreiecks haben dann die Längen  tj+1 - tj  und  hj+1 - hj ;  die Hypotenuse zwischen den Mittelpunkten der Kreise hat die Länge  hj+1 + hj .

Pythagoras2

Bild 6

Mit dem Satz des Pythagoras und Aufgabe 1 erhält man (tj+1 - tj)2 = 4 hj+1·hj = tj+12·tj2/4 .

Daraus folgt  tj+1 - tj = tj+1·tj/2  und damit die rekursive Formel

tj+1 = 2/(2/tj - 1)

Daraus folgt mit Aufgabe 1

hj+1 = 1/(1/√hj - 1)2

In der Einleitung des Problems wurde schon festgestellt, dass  tj+1  und  hj+1  nur solange berechnet werden, wie  tj < 2 ,  was äquivalent zu  hj < 1  ist. Das ist anschaulich klar, deckt sich aber auch mit der Rekursionsformel für die  tj.

Schreibt man die erste Rekursionsformel als  tj+1 = tj/(1-tj/2) ,  so wird bestätigt, dass die  tj  streng monoton wachsen, was ja aufgrund der Konstruktionsvorschrift des ersten Schrittes in der Aufgabenstellung auch verlangt wird. Wegen Aufgabe 1 wachsen auch die  hj  streng monoton.

An dieser Stelle kann auch auf die  Kleine Vorüberlegung  vor Aufgabe 1 eingegangen werden. Für  tj → 2  streben  tj+1  und  hj+1  gegen  +∞ .  Mit  a = t0  nahe  2  lässt sich also schon im ersten Schritt ein beliebig großer Kreis erzeugen; Bild 7 zeigt dies für  a = 1,5 .

grosser Kreis

Bild 7


Bild 6 lässt sich auch für die Rekursionsformeln für  sj  und  gj  verwenden:

In Bild 6 soll nun der linke Kreis den Fußpunkt  sj+1  haben und der rechte den Fußpunkt  sj . Die Katheten des eingezeichneten rechtwinkligen Dreiecks haben dann die Längen  sj - sj+1  und  gj - gj+1 ;  die Hypotenuse zwischen den Mittelpunkten der Kreise hat die Länge  gj + gj+1 .

Mit dem Satz des Pythagoras und Aufgabe 1 erhält man (sj - sj+1)2 = 4 gj·gj+1 = sj2·sj+12/4 .

Daraus folgt  sj - sj+1 = sj·sj+1/2  und damit die rekursive Formel

sj+1 = 2/(2/sj + 1)

Daraus folgt mit Aufgabe 1

gj+1 = 1/(1/√gj + 1)2

Schreibt man die erste Rekursionsformel als  sj+1 = sj/(1+sj/2) ,  so wird bestätigt, dass die  sj  streng monoton fallen, was ja aufgrund der Konstruktionsvorschrift des zweiten Schrittes in der Aufgabenstellung auch verlangt wird. Wegen Aufgabe 1 fallen auch die  gj  streng monoton.


Aufgabe 3

Eine vollständige Induktion soll auf geschlossene Darstellungen der Fußpunkte und der Radien führen.
Diese hängen dann alle nur von  a  ab. Damit lässt sich angeben, wieviele Kreise rechts von  a  konstruiert werden können.


Wir setzen  t0 = s0 = a  in die Rekursionsformeln von Aufgabe 2 ein und erhalten sukzessive:

t1 = 2/(2/a - 1)
t2 = 2/(2/a
 - 2)
t3 = 2/(2/a
 - 3)
...

tj = 2/(2/a - j)
...


s1 = 2/(2/a + 1)
s2 = 2/(2/a
 + 2)
s3 = 2/(2/a
 + 3)
...

sj = 2/(2/a + j)
...


Die Formeln für  tj  und  sj  sind bisher nur Vermutungen, die aber leicht induktiv nachgewiesen werden:

tj+1 = 2/(2/tj - 1) = 2/(2/a - (j+1))

sj+1 = 2/(2/sj + 1) = 2/(2/a + (j+1))

Es folgt

hj = 1/(2/a - j)2

gj = 1/(2/a + j)2

Wir hatten festgestellt, dass  tj+1  und  hj+1  nur solange berechnet werden können, wie  tj < 2 ,  was äquivalent zu  hj < 1  ist.

tj < 2    j+1 < 2/a

Für  a < 2  lassen sich also  ⌈2/a - 1⌉  Kreise rechts von  a  bilden. Für  a  2  lassen sich rechts keine weiteren Kreise bilden.


Aufgabe 4

Für welche  a  lässt sich die Summe aller Kreisflächen explizit berechnen  -  und mit welchem Ergebnis ?

Die Flächeninhalte der Kreise betragen  π·hj2  bzw.  π·gj2 .  Zu summieren sind also Terme der Form  π/(2/a ± j)4 .  Wir können die Summe  S  der Kreisflächen berechnen, wenn  2/a = m  N  ist. Dann durchlaufen in Aufgabe 3 die Terme  2/a ± j  (auch für  j=0)  in  hj  und  gj  die natürlichen Zahlen, denn  hjmax = h2/a-1 = 1 .  Damit erhalten wir

S = π·Σn∈N n-4

Hier haben wir es mit einem Funktionswert der Riemannschen Zeta-Funktion zu tun, nämlich ζ(4). Diesen Wert kann man leicht mit einem CAS berechnen:  ΣnN n-4 = π 4/90 .  In einem umfassenderen Kontext findet man dieses Ergebnis u.a. in MathWorld (Formel 73) und Abramowitz/Stegun (Formel 23.2.25) sowie in Particular Values (Wikipedia). Das führt uns zur Lösung dieser Aufgabe:

Für  a = 2/m  mit  m  N  ist  S = π 5/90  3,4 .

S  hängt also nicht von  m  ab !  Das ist auch leicht zu sehen, da die Fußpunkte aller Kreise für jedes  m  die absteigende Folge  2, 1, 2/3, 1/2, ..., 2/i, ..., 2/m = a, ..., 2/k, ...  durchlaufen.



Publiziert 2019-05-25          Stand 2019-01-03


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