Manfred Börgens
Mathematische Probleme  # 96
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Pythagoreische Tripel


Mein Freund P. zeigt mir das Grundstück, auf dem er sein neues Haus bauen will. Er erzählt mir, dass alle Grundstücke in diesem Baugebiet rechteckig sind und Seitenlängen von maximal  175 m  haben dürfen.

"Es wird Dich als Mathematiker interessieren," sagt P., "dass alle Seiten und Diagonalen meines Grundstücks exakt ganzzahlig (in Metern) sind."  Ich schreite die Diagonale ab; ich gebe mir Mühe, jeweils ein Meter lange Schritte zu machen  -  aber das ist recht ungenau, und ich weiß auch nicht, ob ich einigermaßen entlang einer Geraden laufe.

"Und erwartest Du jetzt, dass ich die Maße des Grundstücks kenne?" frage ich meinen Freund.

"Nein. Aber ich gebe Dir einen Tipp, den Du wörtlich nehmen solltest: Dreimal darfst Du raten."

Wie lang ist die Diagonale des Grundstücks?


Man kann sich bei diesem Problem helfen lassen, indem man im Internet nachliest, was über rechtwinklige Dreiecke mit ganzzahligen Seiten bekannt ist:
Manuskript von Arndt Brünner
Manuskript von Michael Dorner
Dieses Problem ist auch gut dafür geeignet, Bekanntschaft mit der online-Datenbank für Zahlenfolgen zu machen: OEIS. Zu unserem Problem passt die Folge A009003.



Lösung


Durch eine Diagonale wird das Grundstück in zwei kongruente rechtwinklige Dreiecke zerlegt. Für diese gilt der Satz des Pythagoras, und da wir die drei Seitenlängen in ganzzahligen Einheiten messen können, bilden diese ein pythagoreisches Tripel. In unserem Problem ist nur nach der Hypotenuse gefragt. Da die beiden Katheten die maximale Länge von  175  haben können, hat die Hypotenuse maximal die Länge  247 . Also kann man die Lösung durch Ausprobieren herausfinden; ein kleines Programm oder eine Internetquelle liefert schnell die pythagoreischen Tripel (a,b,c) mit natürlichen Zahlen  a, b, c  und  a2 + b2 = c2  und  a  175, b  175, c  247 .

Die Aufgabenstellung gibt nur einen weiteren Hinweis. Durch das Abschreiten der Diagonale ist der ungefähre Wert von  c  bekannt, und P. sagt "Dreimal darfst Du raten." Was könnte das bedeuten? Nun, zu einem gegebenen Wert von  c  kann es mehrere zugehörige pythagoreische Tripel geben. Und wenn man das Gespräch der beiden Freunde genau liest, lassen sich alle Maße des Rechtecks durch dreimaliges Raten herausfinden. Also suchen wir eine Hypotenusenlänge  c , zu der drei verschiedene Kathetenpaare (a,b) passen.

Wie gesagt, das Ergebnis kann man mit Durchprobieren aller erlaubten (a,b,c) finden. Hier ist die Lösung:

c = 125   a = 35   b = 120
          a = 44   b = 117
          a = 75   b = 100


Es stellt sich nämlich heraus, dass es für  c  247  nur eine Hypotenuse gibt, die auf genau drei pythagoreische Tripel führt, nämlich  c = 125 . Das Abschreiten der Diagonale war also nicht unbedingt erforderlich, war aber vermutlich zusammen mit P.'s Tipp hilfreich zum Auffinden der Lösung.

Nun wollen wir systematisch vorgehen, denn für größere pythagoreische Tripel wird das vollständige Durchprobieren möglicher (a,b,c) zu aufwändig. Außerdem erkennt man auf diese Weise nicht die Gesetzmäßigkeiten, die in der Problemstellung stecken.

In unserem Problem steckt doch offenbar die grundlegende Frage: Welche Zahlen lassen sich als Summe zweier Quadratzahlen schreiben? Hier und im Folgenden sind nur natürliche Zahlen (ohne Null) gemeint. Es ist ziemlich schwer, nur mit Ausprobieren eine Gesetzmäßigkeit in der zugehörigen Folge zu entdecken (→  Liste der ersten 10.000 Folgenglieder). Aber wie schon in der Aufgabenstellung angegeben, gibt es dazu Sätze der Zahlentheorie. So finden wir im Manuskript von Michael Dorner den folgenden Satz:

Eine natürliche Zahl  n  lässt sich genau dann als Summe zweier Quadratzahlen schreiben, wenn ihre Primfaktorzerlegung von der folgenden Gestalt ist:

n = 2d · p12g1 · p22g2 ·...· pr2gr · q1d1 · q2d2 ·...· qsds

und    pi mod 4 = , qi mod 4 = 1

Dieser Lehrsatz bedeutet, dass  n  Summe zweier Quadrate ist, falls alle Primfaktoren der Form  pi  quadratisch vorkommen.  -  Die Primfaktorzerlegung muss natürlich keine  pi  oder  qi  enthalten (also kann  r = 0  und/oder  s = 0  sein), so dass für die Exponenten  gi > 0  und  di > 0  angenommen werden kann. Mit  d  0  ist dann auch  n = 1  eingeschlossen.  -  Nun zeigt sich aber, dass der Lehrsatz auch Quadratsummen der Form  n = a2 + 02  zulässt. Darauf kommen wir gleich zurück, wenn wir Hypotenusen suchen.  -  Der Lehrsatz besitzt noch eine Ergänzung, mit der sich die Anzahl  v(n)  der möglichen Darstellungen von  n  als Summe zweier Quadrate bestimmen lässt:

v(n) = [(1 + Πi=1..s(di+1))/2]      [.]  steht für die Gaußklammer (Abrundung)

Ist  s = 0 , kommen Primfaktoren der Form  qi  in  n  nicht vor; das Produkt in  v(n)  ist dann gleich  1 , also ist  v(n) = 1 .  n  ist dann offenbar eine Quadratzahl und von der bereits erwähnten Form  n = a2 + 02 . Insbesondere gibt es keine anderen Zerlegungen in zwei Quadratzahlen.

Nun wollen wir diesen Lehrsatz auf pythagoreische Tripel anwenden. Wir suchen Hypotenusen der Länge  c , die zu einem pythagoreischen Tripel gehören. Zunächst schreiben wir  c  in Primfaktorzerlegung:

c = 2d · p1g1 · p2g2 ·...· prgr · q1d1 · q2d2 ·...· qsds

⇒    c2 = 22d · p12g1 · p22g2 ·...· pr2gr · q12d1 · q22d2 ·...· qs2ds

⇒    v(c2) = (1 + Πi=1..s(2di+1))/2

In der Anzahl  v(c2) wird immer die Zerlegung  c2 = c2 + 02  mitgezählt, so dass wir für unsere Fragestellung auf die folgende Anzahl  u(c2) von Zerlegungen in zwei Quadratzahlen kommen:

u(c2) = (-1 + Πi=1..s(2di+1))/2

Wann ist  u(c2) = 0 ?  Offenbar dann, wenn alle  di = 0  sind, d.h. wenn in  c  Faktoren der Form  qi  nicht vorkommen; in diesem Fall geht nur die Zerlegung  c2 = c2 + 02 . Wenn aber  c  einen Primfaktor  qi  besitzt, so gibt es weitere Zerlegungen in zwei Quadrate. Also gilt:

c  ist eine Hypotenuse in einem pythagoreischen Tripel genau dann, wenn  c  einen Primfaktor  q  mit  q mod 4 = 1  hat. Die Anzahl der zugehörigen Kathetenpaare beträgt  u(c2) .

Für unsere Lösung  c = 125  lässt sich das nachprüfen.  125 = 53 , also hat  c  nur den Primfaktor  q1 = 5  mit  d1 = 3 . Es folgt  u(c2) = (-1+7)/2 = 3 .

Da es in der Aufgabenstellung auch um die Maße des Grundstücks ging, wäre es schön, wenn sich die drei zugehörigen Kathetenpaare ohne große Mühe berechnen ließen. Das ist aber leider nicht so einfach. Man kann natürlich  a  b  annehmen und dann alle  a < c/√2  c·0.707  durchprobieren. Im Manuskript von Michael Dorner wird eine einfachere und systematische Methode angegeben, die mit drei Rechenregeln auskommt:

(1) (w2+x2)(y2+z2) = (wy+xz)2 + (wz-xy)2 = (wy-xz)2 + (wz+xy)2

(2) (x2+y2)2 = (x2-y2)2
 + (2xy)2

(3) 2(x2+y2) = (x+y)2
 + (x-y)2

Wir probieren das für die Zerlegung von  c2 = 1252  aus:

52 = (22+12)(22+12) = 52 + 02 = 32 + 42     nach (1)

54 = 252
 + 02 = 72 + 242     nach (2)

1252 = 56 = 52·54 = (52
 + 02)(252 + 02) = 1252 + 02
                  = (52
 + 02)(72 + 242) = 352 + 1202
                  = (32
 + 42)(252 + 02) = 752 + 1002
                  = (32
 + 42)(72 + 242) = 1172 + 442 = 752 + 1002     nach (1)

Die erste Lösung entfällt, eine weitere Lösung erscheint doppelt.

Im Manuskript von Arndt Brünner wird die folgende Methode des indischen Mathematikers Brahmagupta aus dem 7. Jahrhundert angegeben; diese Methode erfordert ein Durchsuchen der natürlichen Zahlen bis maximal  c·(1-√.5)  c·0.293  (gegenüber  c·0.707  bei vollständiger Suche); da vorher bekannt ist, wieviele Lösungen es gibt, geht es meistens noch schneller:

Brahmagupta-Verfahren
Zu gegebenem  c  erhält man alle pythagoreischen Tripel (a,b,c) durch Auffinden der Quadratzahlen der Form  h(2c-h)  mit  1  h < c·(1-√.5).
Die Katheten werden mit  a2 = h(2c-h)  und  b = c - h  bestimmt.


Wir schauen uns das wieder für  c = 125  an. Man prüft die  h  bis maximal  h = 36  -  wir werden sehen, dass man schon bei  h = 25  aufhören kann  -  und erhält die bereits bekannten Lösungen:

h = 5   a2 = h(2c-h) = 1225   a = 35   b = 120
h
 = 8   a2 = h(2c-h) = 1936   a = 44   b = 117
h
 = 25  a2 = h(2c-h) = 5625   a = 75   b = 100


Kategorie: Zahlen und Zahlsysteme, Berechnung von π



Publiziert 2016-10-26          Stand 2015-11-25


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