Manfred Börgens
Mathematische Probleme  # 75
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Ein Mischungsproblem

          Die Lösung steht im unteren Teil der Seite.

Ich trinke gerne Apfelsaftschorle. Das ist ein Mischgetränk aus Apfelsaft und Mineralwasser. Ich möchte es mir selbst mischen und habe auch die Zutaten: Eine Flasche Apfelsaft und eine (beliebig) große Menge Wasser. Aber ich habe kein leeres Gefäß zum Mischen zur Hand. Pures Wasser mag ich nicht trinken, puren Apfelsaft schon eher. Also trinke ich einen Schluck aus der Saftflasche, fülle dann mit Wasser auf und schüttele die Flasche zur Durchmischung. Das wiederhole ich so lange, bis die Mischung halbe-halbe Saft und Wasser enthält.

Wir wollen annehmen, dass meine Schlucke gleich groß sind. Sie dürfen natürlich nicht größer als der halbe Flascheninhalt sein. Wenn ich irgendeine Größe meiner Schlucke vorgebe, kann ich nicht erwarten, dass ich exakt bei 50 % Wasser auskomme. Deshalb mache ich es andersherum: Ich frage mich, wie groß jeder Schluck sein muss, wenn ich die Anzahl der benötigten Schlucke vorgebe. Dazu kommen wir später noch. Die Hauptfrage dieses Problems ist die folgende:

Klar ist, dass ich bis dahin eine halbe Flasche Apfelsaft trinken muss. Die Frage lässt sich also darauf reduzieren, wieviel Wasser mit diesem Saft vermischt war. - Außerdem ist klar, dass ich genau soviel aus der Flasche trinke, wie insgesamt an Wasser in die Schorleflasche zugeführt wird.

Die Antwort hängt natürlich von der Anzahl  n  der Schlucke ab. Aus  n  lässt sich außerdem die Größe der Schlucke berechnen, wenn man ein Mischungsverhältnis von genau gleich viel Saft und Wasser erreichen will. Das Volumen der Flasche setzen wir der Einfachheit halber gleich  1 ; das Volumen eines Schlucks sei dann  s . Das müsste reichen, um die erste Frage zu beantworten.

Die Lösung ist vielleicht etwas unbefriedigend, weil sie  n  oder  s  enthält. Einsetzen von konkreten Werten von  n  oder  s  gibt aber schon einen guten Eindruck (viele finden das Ergebnis etwas überraschend). Wenn man davon ausgeht, dass ich in kleinen Schlucken trinke, müsste sich ein Näherungswert für die Menge aus der ersten Frage angeben lassen. Das wollen wir präzisieren: Dieses Mischungsproblem ist ein diskretes Problem, da das Trinken und Nachfüllen in einzelnen Schritten erfolgt. Es gibt ein verwandtes stetiges Problem, bei dem man vermuten kann (zu Recht, wie wir noch sehen werden), dass die Lösung mit dem eben bestimmten Grenzwert übereinstimmt. Die folgende schematische Skizze zeigt die "stetige Mischungsaufgabe":

stetige Mischung

Was ist in der Skizze dargestellt? Wir befinden uns schon mitten im Mischprozess, d.h. der obere Behälter enthält bereits eine Mischung aus Saft und Wasser. Das Wasser kommt aus dem oberen Hahn. Wir stellen uns vor, dass die Mischung ständig gut umgerührt wird, so dass aus dem unteren Hahn die Schorle in dem Mischungsverhältnis ausläuft, dass man überall im oberen Behälter vorfindet. Er enthält immer die gleiche Menge Flüssigkeit, weil die beiden Hähne gleich weit geöffnet sind. - Die Analogie zum ursprünglichen diskreten Problem liegt auf der Hand: Der obere Behälter entspricht der Flasche, der untere enthält die "abgetrunkene" Menge. Der obere Hahn füllt das Wasser nach.

Hier stellt sich die analoge Frage zum diskreten Problem: Die Lösung führt hier über eine einfache Differentialgleichung. Ein naheliegender Ansatz ist, die Funktion  a(t) zu bestimmen, die den Apfelsaftanteil im oberen Behälter in Abhängigkeit von der Zeit (und damit vom Volumen des zugeführten Wassers) beschreibt. Für kleine Zeitintervalle  h  entspricht dann die Veränderung  a(t+h)- a(t) näherungsweise der Veränderung im diskreten Problem bei einem Schluck. Für  h  0  führt das auf eine Differentialgleichung zur Bestimmung von  a(t) .




Lösung



Wir lösen zuerst das diskrete Problem. Im  k-ten Schluck sei der Apfelsaftanteil  ak . Wenn genau  n  Schlucke die gewünschte Mischung erzielen sollen, erhält man eine endliche Folge ( k = 1 ... n+1 ) :

Der  (n+1)-te Schluck wird nicht mehr getrunken, da nach dem  n-ten Schluck und dem folgenden Nachfüllen das Mischungsverhältnis halbe-halbe ist.

s (0, 0.5]  ist das Volumen eines Schluckes.  ak  ist der Apfelsaftanteil in der Flasche vor dem  k-ten Schluck. Davon wird der Anteil  s  abgetrunken (da die Flasche das Volumen  1  haben soll), also  ak·s , und durch Wasser ersetzt. Also ist  ak+1 = ak - ak·s . Damit erhält man: n  und  s  sollen so bemessen sein, dass  an+1 = 0.5 . Also gilt: Damit ist die zweite Frage aus der Problemstellung beantwortet. Möchte man z.B.  n = 20  Schlucke nehmen, so trinkt man bei jedem Schluck ca.  s = 0,034  (also aus einer Literflasche ca. 34 ml).

Für die Grenzwerte wollen wir noch  n  durch  s  ausdrücken: Jetzt ist die erste Frage leicht zu beantworten. Ich trinke insgesamt  n  Schlucke der Größe  s , also das Volumen  n·s . Setzt man konkrete Werte für  n  oder  s  ein, ergeben sich recht kleine Werte für  m . So ist (gerundet)  m1(20) = 0.6813 . Das bedeutet, dass man bei einer Literflasche der Schorle  0.5  Liter Wasser zuführt, während man selbst in  20  Schlucken nur  0.1813  Liter Wasser trinkt (zusammen mit  0.5  Liter Apfelsaft).

Für die Grenzwerte wendet man den Satz von L'Hospital an. Für  n  +∞  ist es am einfachsten,  x = 1/n  zu setzen und dann den Grenzwert für  m1  mit  x  0  zu berechnen. Man erhält: Für sehr kleine Schlucke aus einer Literflasche trinke ich also insgesamt näherungsweise  ln 2 - 0.5 Liter Wasser ( ungefaehr 0.1931 Liter).


Nun zum stetigen Problem.

Die Funktion  a(t) soll der Folge  ak  aus dem diskreten Problem entsprechen. In Abhängigkeit vom Zeitpunkt  t  gibt  a(t) den Apfelsaftanteil im oberen Behälter an. Hier liegt ein kontinuierlicher Zufluss (und ein gleich großer Abfluss) vor. Wir können die Einheiten für die Zeit und die Zuflussmenge frei wählen, so dass  t  wahlweise als Zeit- oder Volumenvariable aufgefasst werden kann. Der Einfachheit halber setzen wir das Volumen des oberen Behälters als  1  an. Die Zeit, die verstreicht, bis eine weitere Volumeneinheit von oben zugeführt wird (Wasser), kann ebenfalls als  1  gesetzt werden. Wenn man z.B. als Einheiten Liter und Stunden wählt, würde in  1  Stunde der Zufluss bzw. Abfluss  1  Liter betragen.

Um eine Differentialgleichung aufstellen zu können, betrachten wir die die Veränderung von  a  für kleine Zeitdifferenzen  h . In einem Zeitintervall  h  fließt dem oberen Behälter Wasser mit dem Volumen  h  zu. ( h  entspricht einem "Schluck"  s  aus dem diskreten Problem.)  a(t)  ist der Apfelsaftanteil zu Beginn des Zeitintervalls. Für kleine  h  gilt dann näherungsweise: Vom Apfelsaft fließt der Anteil  h  ab, also  h·a(t) , und wird durch Wasser ersetzt. Also gilt: Wir erhalten die gleiche Lösung wie im diskreten Problem:

a(t) = 0.5  ⇒  t = ln 2





Publiziert 2011-07-07          Stand 2010-09-19


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