Manfred Börgens Mathematik auf Briefmarken # 39 |
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DDR 1981 Michel 2637 Scott 2208 |
Die Zahlen der Maya
Die Briefmarke zeigt das untere Drittel der 20. Seite des Dresdener Codex, einer Maya-Handschrift etwa aus dem Jahr 1200. Das Bild enthält u.a. Maya-Hieroglyphen und Maya-Zahlen. Das Zahl- und Kalendersystem der Maya ist eine hervorragende mathematische Leistung und einmalig in der amerikanischen Welt vor Kolumbus.
Die Maya
Das indianische Volk der Maya lebt in Mittelamerika. Ihr Hauptsiedlungsgebiet umfasst in Mexiko den äußersten Süden des Staates sowie die Halbinsel Yucatan, außerdem Teile von Guatemala, Belize, Honduras und El Salvador.
Die Maya traten als zivilisierte Gesellschaft etwa um 2000 v.Chr. in Erscheinung, nicht als Zentralstaat, sondern organisiert in vielen kleinen Gemeinschaften, die aber den gleichen kulturellen Hintergrund aufwiesen. Als Klassische Periode werden die Jahre 250 bis 900 bezeichnet. Aus dieser Zeit stammen die meisten Bauwerke der Maya, die heute noch erhalten sind und von vielen Touristen besucht werden - z.B. in den Städten Tikal, Chichen Itza und Palenque. Die Blütezeit der Maya-Kultur reichte von 600 bis 900. Dann erlitt die gesamte Zivilisation der Maya einen plötzlichen und katastrophalen Kollaps und hinterließ verlassene Städte und Anbaugebiete. Als der spanische Eroberer Hernan Cortez 1519 an der Küste von Yucatan landete, war von dem einstmals blühenden und mächtigen Maya-Reich fast nichts mehr erkennbar. Es dauerte bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, bis Forscher die Maya-Städte wiederentdeckten - von Urwald überwuchert und daher von den spanischen Eroberern übersehen, sehr gut erhalten und meist schwer zugänglich. Besonders fasziniert waren sie von den zahlreichen Inschriften, die die Maya hinterlassen haben, mit kunstvollen und zunächst rätselhaften hieroglyphischen Schriftzeichen. In den seitdem verstrichenen etwa 150 Jahren haben die Maya eine intensive Forschungstätigkeit ausgelöst; viele Bauwerke sind freigelegt worden, und als besondere Leistung muss gewürdigt werden, dass das Schrift-, Zahl- und Kalendersystem der Maya weitgehend entschlüsselt worden ist.
Die hier angegebenen Daten entsprechen der sog. "Standardchronologie", die allerdings nicht von allen Maya-Forschern akzeptiert wird.
Die kulturellen und zivilisatorischen Leistungen der Maya sind erstaunlich. Sie erbauten große Städte mit Tempel-Pyramiden, Palästen, Ballspielplätzen und Wasserreservoiren. Zur Ernährung der wachsenden Bevölkerung wurden große Anbauflächen urbar gemacht und durch ausgeklügelte Bewässerungssysteme versorgt. Das Land war von zahlreichen Handelswegen durchzogen (allerdings kannten die Maya weder das Rad noch die Metallverarbeitung). Die Maya entwickelten eine eigene Hieroglyphenschrift, eine Mischung von Silben- und Symbolschrift. Ihr Zahlsystem auf der Basis 20 wurde in den gefundenen Inschriften für die Darstellung von Kalenderdaten benutzt; dort erkennt man, dass Astronomie, Astrologie, Mythologie und Kalenderwissenschaft für die Maya eine Einheit bildeten, die die Grundlage ihrer Religion war. Die von den Maya aufgezeichneten astronomischen Berechnungen weisen eine hohe Präzision auf, vor allem beim Lauf von Sonne, Mond und Venus; insbesondere konnten die Maya Finsternisse vorhersagen. Dies war von großer Bedeutung für die Machtstrukturen, denn die Einzelstaaten der Maya wurden von Königen beherrscht, die mit Hilfe einer Kaste von Astronomen und Priestern die Bevölkerung durch ein strenges zeremonielles und rituelles System steuerten. Auch Menschenopfer und zahlreiche Kriege gehörten zum Leben der Maya.
Wodurch ging diese Hochkultur so abrupt zugrunde? Viele Gründe sind dafür vermutet worden, z.B. Seuchen, Erdbeben und Invasionen anderer indianischer Völker. Heute gehen manche Forscher davon aus, dass die Maya schon an Überbevölkerung litten, als um das Jahr 900 die Lebensmittelversorgung einbrach - als Folge der weitgehenden Abholzung des tropischen Waldes und der überzogenen Ausbeutung des Ackerlandes. Gleichzeitig wütete ein Bürgerkrieg unter den Maya. Vermutlich führten diese Faktoren dazu, dass die Ordnung und Versorgung in den Städten zusammenbrach und die Maya gezwungen waren, ein einfacheres Leben auf dem Land zu führen. Dort leben sie noch heute und führen einige der alten Kalenderrituale fort.
Der Dresdener Codex
In der Sächsischen Landesbibliothek Dresden wird ein Maya-Dokument von außerordentlicher Seltenheit aufbewahrt: Der Dresdener Codex oder Codex Dresdenis. Dies ist eine Maya-Handschrift, die etwa um das Jahr 1200 entstanden ist, also nach dem Ende der Klassischen Periode der Maya, aber vor der Ankunft der Europäer in Amerika. Forschungen haben ergeben, dass der Dresdener Codex wahrscheinlich eine Abschrift eines älteren Dokuments aus der Klassischen Periode ist.
Handschriften der Maya sind deshalb so selten, weil sie durch die Spanier im Zuge der Christianisierung Mittelamerikas systematisch vernichtet wurden. Insbesondere Bischof Diego de Landa war dabei besonders eifrig, weil er in den Maya-Hieroglyphen Werke des Teufels erblickte. Lediglich vier (einigermaßen vollständige) Handschriften sind aufgefunden worden und werden Codizes (Sing. Codex) genannt. Von ihnen ist der Dresdener Codex der schönste und wissenschaftlich bedeutendste, außerdem ist er als einziger öffentlich zugänglich.
Der Dresdener Codex ist in Leporello-Form gefaltet und besteht aus 39 doppelseitig beschriebenen Blättern und vier leeren Seiten. Das Grundmaterial des Codex ist Feigenbast, die Oberfläche wurde mit Kreide grundiert.
Der Dresdener Codex
Die Entzifferung der Codizes (und der Inschriften an den Maya-Bauwerken) ist erst in den letzten Jahrzehnten gelungen. Der Dresdener Codex enthält eine Fülle von Aufzeichnungen in der Hieroglyphen-Schrift, von Zahlen und von bildlichen Darstellungen. Was haben die Maya dort aufgeschrieben? Im wesentlichen findet man kalendarische und astronomische Inhalte. In den kalendarischen Teilen sind Ritualdaten, Weissagungen, Wetter- und Erntevoraussagen auf der Grundlage der Maya-Mythologie und -Astrologie zusammengestellt. In den astronomischen Teilen sind mit hoher Exaktheit Daten von Sternkonstellationen, Umlaufdaten für Sonne, Mond und Venus sowie Mond- und Sonnenfinsternistafeln aufgezeichnet.
Die Briefmarke zeigt einen Ausschnitt aus dem Dresdener Codex (Seite 20, letztes Drittel) mit Weissagungen für drei bestimmte Kalenderdaten.
Das Maya-Zahlsystem
Die wichtigsten Merkmale der Maya-Zahlen sind:
Bei mehrstelligen Zahlen werden die Ziffern übereinander angeordnet (nicht wie in unserem Dezimalsystem nebeneinander). Ganz unten steht die Ziffer mit dem Stellenwert 1, darüber die Ziffer mit dem Stellenwert 20 usw. Im folgenden Bild sind zweistellige Zahlen dargestellt:
Für Maya-Zahlen mit mehr als zwei Stellen gibt es eine wesentliche und systemwidrige Abweichung von der vigesimalen Schreibweise. In der Literatur findet man zwar vereinzelt die Auffassung, dass die Maya im Alltag ein reines 20er-System verwendeten, dies ist aber nicht gesichert. Mehrstellige Maya-Zahlen kennt man nur aus den wenigen erhaltenen Codices und von den zahlreichen Inschriften auf Stelen und an Gebäuden. Alle diese Zahlen stellen Datumsangaben dar; kaufmännische oder andere Alltagsrechnungen findet man nicht. Datumsangaben mit mehr als zwei Stellen beziehen sich auf die "Lange Zählung", die weiter unten noch besprochen wird. Diese zählt die Tage seit einem Nulldatum, aber die dritte Stelle steht hier nicht für "400er", wie zu erwarten wäre, sondern für "360er". Ab der vierten Stelle wird der Stellenwert wieder mit 20 multipliziert, so dass die Stellenwerte die Folge 1, 20, 360, 7200, 144 000 ... bilden. Bei den Beispielen im folgenden Bild sind die grünen arabischen Zahlen danach berechnet. Zum Vergleich findet man darunter in Schwarz den Wert im reinen Vigesimalsystem, also für die Stellenwerte 1, 20, 400, 8000, 160000 usw.
Das Maya-Kalendersystem
Die Maya verwendeten drei Kalender nebeneinander: Einen Sonnenkalender (Haab), einen Ritualkalender (Tzolkin) und die "Lange Zählung".
Das Sonnenjahr umfasste 365 Tage, aber die Maya wussten, dass dies nicht die wahre Jahreslänge ist. Obwohl sie offenbar nur über sehr einfache Mess- und Beobachtungsinstrumente verfügten, waren sie in der Lage, die Länge eines Sonnenjahres erstaunlich genau zu berechnen: Ihr Wert stimmte in den ersten drei Nachkommastellen mit dem exakten Wert überein (365,242 Tage; allerdings drückten die Maya ihn so nicht aus, da sie weder Brüche noch Nachkommastellen kannten).
Die "Lange Zählung" war eine reine Tageszählung, für die das Vigesimalsystem an der dritten Stelle nur die Ziffern 0 bis 17 vorsah (Beispiele siehe oben). Der Beginn dieser Zählung war der 0. Tag, meist 0.0.0.0.0 geschrieben, da in der Langen Zählung ganz überwiegend fünfstellige Zahlen verwendet wurden. Dieses Nulldatum liegt nach der Standardchronologie im Jahr 3114 v.Chr.
Das Ritualjahr der Maya umfasste 260 Tage und war nach einem bemerkenswerten mathematischen Schema aufgebaut. Jeder der 260 Tage wurde durch ein Zahlenpaar (a,b) dargestellt, in dem a 13mal die Zahlen 1, 2, 3, ... , 18, 19, 0 und b 20mal die Zahlen 1 bis 13 durchlief. Dieser Kalender heißt Tzolkin. Da 20 und 13 teilerfremd sind, werden im Laufe eines Ritualjahres alle 260 möglichen Zahlenpaare (a,b) durchlaufen. Zählt man die 260 Tage mit der Tageszahl n durch, ist die Zuordnung am Anfang noch einfach, falls man mit (1,1) als erstem Tag beginnt:
n a b
1 1 1
2 2 2
3 3 3
. . . . . .
13 13 13
14 14 1
15 15 2
. . . . . .
20 0 7
21 1 8
22 2 9
. . . . . .
260 0 13
Aber können Sie sagen - ohne lange zu überlegen - der wievielte Tag dann z.B. durch (a,b) = (4,2) dargestellt wird? (Es ist der 184. Tag.)
Der Maya-Ritualkalender ist also ein wenig vertrackt. Es kommt erschwerend hinzu, dass (1,1) zwar in vielen Veröffentlichungen über die Maya am Anfang einer Übersichtstabelle für alle 260 Tage steht, das Ritualjahr der Maya aber mit dem Tag (0,4) begann, wenn man auf das Nulldatum der Langen Zählung zurückgeht.
Die Zählung der 260 Tzolkin-Tage, beginnend mit (0,4), wird hier mit m als Tageszahl angegeben:
m a b
1 0 4
2 1 5
3 2 6
. . . . . .
11 10 1
. . . . . .
20 19 10
21 0 11
. . . . . .
260 19 3
Die Zahl a wird in Maya-Inschriften (aber nicht auf der Briefmarke) oft durch einen Tagesnamen ersetzt und dann dem b nachgestellt. So steht beispielsweise Imix für a = 1 , Ik für a = 2 , Akbal für a = 3 , . . . , Cauac für a = 19 und Ahau für a = 0. 6 Cauac steht also für (19,6), d.h. für den 120. Tzolkin-Tag nach der m-Zählung bzw. den 19. Tag nach der n-Zählung. 4 Ahau steht für (0,4), also für den 1. Tzolkin-Tag nach der m-Zählung bzw. den 160. Tag nach der n-Zählung.
Bevor wir das mathematische Prinzip dieses Kalenders durchleuchten, soll das Bild auf der Briefmarke vergrößert wiedergegeben werden:
Man erkennt deutlich sechs Zahlen. Jeweils zwei von ihnen stehen für ein Datum im Tzolkin, und zwar die schwarze Zahl für a und die rote Zahl für b. Wir haben es also mit drei Datumsangaben zu tun, und man kann sich davon überzeugen, dass es sich um die Tage m = 212 (n = 111), m = 131 (n = 30) und m = 10 (n = 169) handelt (m im folgenden Bild grün dargestellt).
Was bedeutet das Bild auf der Briefmarke insgesamt? Unter den drei Daten sieht man jeweils die gleiche Mondgöttin, aber mit verschiedenen Lasten auf ihrem Rücken. Über den Daten stehen jeweils vier Hieroglyphen, also Maya-Schriftzeichen. Die Maya-Forscher können diese Hieroglyphen lesen und das ganze Bild verstehen. Es handelt sich um Prophezeiungen der Mondgöttin für die drei Tzolkin-Daten. Das Tier auf dem Rücken der Mondgöttin ergibt zusammen mit den darüber stehenden vier Schriftzeichen z.B. an, welche Gefahren oder Krankheiten an dem betreffenden Tag drohen.
Für die Umrechnung der Tzolkin-Daten in die Tageszahlen m bzw. n bedient man sich der elementaren Zahlentheorie. In den Umrechnungsformeln wird die Modulo-Funktion vorkommen. Für natürliche Zahlen j und k sei j mod k der Teilerrest, wenn man j durch k teilt. Auf das gleiche Ergebnis kommt man, wenn man von j ein solches Vielfaches von k subtrahiert, dass die Differenz eine Zahl in 0, 1, ... , k-1 ist. Diese Definition lässt sich auf negative j erweitern, wenn man Vielfache von k addiert. Die modifizierte Modulo-Funktion j mod* k stimmt mit j mod k überein mit der Ausnahme, dass das Ergebnis 0 durch k ersetzt wird. Hier sind ein paar Beispiele:
3 mod 19 = 3 3 mod* 19 = 3
19 mod 19 = 0 19 mod* 19 = 19
75 mod 19 = 18 75 mod* 19 = 18
95 mod 19 = 0 95 mod* 19 = 19
0 mod 19 = 0 0 mod* 19 = 19
-3 mod 19 = 16 -3 mod* 19 = 16
-18 mod 19 = 1 -18 mod* 19 = 1
-19 mod 19 = 0 -19 mod* 19 = 19
-57 mod 19 = 0 -57 mod* 19 = 19
-100 mod 19 = 14 -100 mod* 19 = 14
Zusammenhang von m und n :
n = (m - 101) mod* 260 m = (n + 101) mod* 260
Aus m bzw. n lassen sich a und b leicht berechnen:
a = (m - 1) mod 20 = n mod 20
b = (m + 3) mod* 13 = n mod* 13
Auf diese Weise lässt sich jede Tageszahl des Ritualjahrs in das zugehörige Tzolkin-Datum umrechnen. Hier sind drei Beispiele:
Der 195. Tag des Tzolkin (m = 195 bzw. n = 94) hat (a,b) = (14,3).
Der 257. Tag des Tzolkin (m = 257 bzw. n = 156) hat (a,b) = (16,13).
Der 21. Tag des Tzolkin (m = 21 bzw. n = 180) hat (a,b) = (0,11).
Die umgekehrte Berechnung von m bzw. n aus (a,b) erfordert etwas mehr Mathematik:
n = 20x + a
n = 13y + b
Da x und y ganzzahlig sind, erhält man die lineare diophantische Gleichung 20x - 13y = b - a .
Für solche Gleichungen gibt es ein allgemeines Lösungsverfahren. Demnach ist
x = 2(b - a) + 13t y = 3(b - a) + 20t t ganzzahlig
Damit erhält man die Lösung n = 40b - 39a + 260t, also
n = (40b - 39a) mod* 260
m = (40b - 39a + 101) mod* 260
Die Anwendung dieser Formeln kann man anhand der obigen drei Beispiele oder der Daten auf der Briefmarke ausprobieren. Auf diese Weise lässt sich jedes Tzolkin-Datum in die Tageszahl des Ritualjahrs umrechnen.
Am 10. November 2003 hielt der Maya-Forscher Professor Dr. Nikolai Grube in Bad Nauheim einen Vortrag über die Maya-Kultur, dem ich einige Informationen für diese Seite verdanke.
Kategorie: Zahlen und Zahlsysteme, Berechnung von π