Manfred Börgens
Mathematik auf Briefmarken  # 19
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Briefmarken des Monats Mai 2002

linke Marke mit Davis-Quadrant; rechte Marke mit Spiegelsextant

  Portugal 1993 und Färöer 1994

  Michel 1954 und 264
  Scott 1944 und 268


Nautische Winkelmesser: Quadrant und Sextant

Zur Bestimmung des Höhenwinkels der Sonne und anderer Himmelskörper auf See werden seit Jahrhunderten Geräte verwendet, die sowohl einfach als auch genial sind. Dieser Höhenwinkel gibt den Seefahrern die Möglichkeit, den Breitengrad ihrer Position zu berechnen (auf der Nordhalbkugel am einfachsten durch die Höhenmessung des Polarsterns).

Wie misst man also in der Seefahrt (geht natürlich auch an Land), wie hoch ein Gestirn über dem Horizont steht? Bild 1 zeigt eine schematische Zeichnung eines einfachen Quadranten. Dieser besteht aus einem rechten Winkel, an dessen Schenkeln man das Gerät festhalten kann, einer daran starr befestigten Skala von 0° bis 90° und einem Lot. Das Lot ist das einzige bewegliche Teil des Quadranten; es ist am Scheitel des rechten Winkels wie ein Pendel aufgehängt und zeigt deshalb immer in die Senkrechte. Bei einer Messung hält man das Gerät hoch über sich und peilt das Gestirn über den Schenkel mit der 90°-Markierung an. Der Betrachter sieht dann natürlich die Skala nicht, diese weist ja von ihm fort. Er könnte aber, sobald er das Gestirn fixiert hat, das Lot mit zwei Fingern an der Skala festhalten und dann den Winkel ablesen (oder ein zweiter Seemann steht seitlich und macht die Ablesung).

Schemabild eines Quadranten
 Bild 1  Quadrant

Die beiden eingezeichneten Winkel (φ) sind gleich, weil sie sich mit dem gleichen Winkel (α) zu einem rechten Winkel addieren. Der Quadrant hat seinen Namen, weil er ein Viertel eines Vollkreises auf seiner Skala darstellen kann. Mit ihm lassen sich also alle Höhenwinkel messen.

Diese einfachen Quadranten haben einen gravierenden Nachteil: Will man mit ihnen die Höhe der Sonne bestimmen, muss man in die Sonne hineinschauen. Der englische Seefahrer John Davis, der im 16. Jahrhundert die Polarregionen erforschte und nach dem die Davis-Straße zwischen Grönland und Nordkanada benannt ist, baute deshalb einen Quadranten, den man mit dem Rücken zur Sonne benutzte. Dieses schöne Winkelmessgerät ist oben auf der linken Briefmarke zu sehen und heißt Davis-Quadrant (auf Englisch auch "back-staff"). Bild 2 stellt ihn schematisch dar. Die dünn schwarz gezeichneten Teile sind Streben, die nur der Stabilisierung dienen. Die dicken schwarzen Teile sind die wesentlichen: Ein Stab mit zwei angesetzten Winkelskalen.

Schemabild eines Davis-Quadranten
 Bild 2  DAVIS-Quadrant

Der Davis-Quadrant ist schwieriger herzustellen als ein normaler Quadrant. Die einzigen beweglichen Teile sind der Schieber mit dem Guckloch und die Linse bzw. der Schattenwerfer (kleine Kreise in Bild 2); diese beiden Teile lassen sich auf den Skalen verschieben. Der Beobachter stellt sich mit dem Rücken zur Sonne. Er verschiebt die Linse oder den Schattenwerfer auf der kleinen Skala so, dass der Winkel β grob geschätzt etwas geringer als die Sonnenhöhe ist (bei tatsächlich gefertigten Geräten trägt deshalb die kleine Skala auch nur volle Gradmarkierungen ohne Feinteilung). Dann peilt er den Horizont an. Dies ist mit hoher Präzision möglich, da am entfernten Ende des Quadranten eine kleine Platte mit einem Schlitz angebracht ist (in Bild 2 grün). Nun wird die große Skala durch den Schieber mit dem Guckloch so verschoben (der Horizont muss dabei im Blick bleiben), dass das Sonnenlicht oder der Schatten auf die Schlitzplatte fällt. Die Linse wird nur bei schwachem Sonnenlicht benutzt, z.B. bei diesigem Wetter; bei klarem Sonnenschein wird der Schattenwerfer aufgesetzt, und statt eines Lichtpunktes erscheint ein schmaler Schatten auf der Schlitzplatte. Das Gerät ist so gebaut, dass der Beobachter dann gleichzeitig den Horizont durch den Schlitz und gleich neben dem Schlitz den Lichtpunkt bzw. den Schatten sieht. Auf der großen Skala liest man nun den Winkel α ab. Der Höhenwinkel der Sonne beträgt dann α + β.

Der Davis-Quadrant und seine Funktionsweise sind auf der portugiesischen Briefmarke sehr gut dargestellt. Wie man dort sieht, heißt das Gerät auf portugiesisch "Quadrante de dois arcos", also "Quadrant mit zwei Bögen".

Eine weitere Verbesserung brachte der Spiegelsextant, der schon von Isaac Newton um 1700 konzipiert worden war und unabhängig von diesem durch den Amerikaner Thomas Godfrey 1730 gebaut wurde. Die rechte Briefmarke oben zeigt einen Spiegelsextanten. Jedem, der einmal einen Sextanten in der Hand gehalten hat, fällt auf, dass der Öffnungswinkel der äußeren Schenkel hier nur 60° beträgt, aber die Skalenmarkierungen auf dem unteren Bogen von 0° bis 120° reichen. Dahinter steckt ein allgemeines Spiegelprinzip, das vorab erklärt werden soll. In Bild 3 ist S ein Spiegel, in dem ein Betrachter das Objekt A sieht, und zwar im Bildpunkt B. Rückt das Objekt A um den Winkel φ weg (nach A'), sieht der Betrachter es nicht mehr an der Stelle B (denn Einfallswinkel = Ausfallswinkel). Um welchen Winkel α muss der Spiegel um den Punkt B gedreht werden, damit der Beobachter A' in B sieht? Die Antwort ist:  α = φ / 2 . Dies ist aus Bild 3 leicht zu erkennen: Der gedrehte Spiegel S' (in Grün) muss so stehen, dass wieder Einfallswinkel = Ausfallswinkel (in Bild 3 mit γ bezeichnet) gilt. Nun lässt sich der ursprüngliche Einfallswinkel (für S und A) schreiben als φ + γ - α und der ursprüngliche Ausfallswinkel als γ + α. Da beide gleich sein müssen, erhält man α = φ / 2.

Prinzip des Drehspiegels
 Bild 3  Prinzip des Drehspiegels

Dieses Prinzip wird im Sextanten ausgenutzt, um den Winkelbereich zu verdoppeln. In Bild 4 sieht man links den vereinfachten, schematischen Aufbau des Gerätes. Der Öffnungswinkel der äußeren Schenkel beträgt 60°, das Teleskop ist fest an einem Schenkel im Winkel von 60° angebracht. Am anderen Schenkel sitzt auf gleicher Höhe das Horizontglas im Winkel von 60°. Dieses Glas ist zur Hälfte transparent, zur anderen Hälfte ein Spiegel. Durch das Teleskop sieht man beide Hälften. Am Scheitel des Gerätes sitzt ein drehbarer Spiegel, verlängert durch einen Schwenkarm, der entlang der bogenförmigen Skala am unteren Ende des Sextanten geführt wird (Feineinstellung mit Mikrometerschraube). Der Beobachter peilt nun durch das Teleskop und den transparenten Teil des Horizontglases den Horizont an. Dann wird der Spiegel so gedreht, dass das zu beobachtende Gestirn im Spiegelteil des Horizontglases genau neben dem Horizont steht. Der Winkel φ lässt sich dann an der Skala ablesen (schwarze Markierungen in Bild 4). Der tatsächliche Winkel zwischen dem Spiegel und dem 0°-Schenkel ist aber nur α = φ / 2 (grüne Markierungen). Hier findet man also das oben erläuterte Drehspiegelprinzip wieder. Im rechten Teil von Bild 4 sind alle relevanten Winkel eingezeichnet. Es gilt Einfallswinkel = Ausfallswinkel = γ = 60° - α. Also ist 180° = γ + φ + 60° + γ = 2·(60° - α) + φ + 60°; wieder ergibt sich α = φ / 2.

Prinzip des Spiegelsextanten
 Bild 4  Spiegelsextant

Bei hohen Anforderungen an die Präzision der Messung wendet der Seemann Korrekturformeln an, da das dargestellte mathematische Prinzip u.a. nicht die Augenhöhe des Beobachters über dem Wasser oder die Ablenkung des Lichts durch die Luftschichten berücksichtigt.

Ähnlich wie der Sextant ist der Oktant aufgebaut, der einen Öffnungswinkel von 45° hat und Gestirnshöhen von 0° bis 90° messen kann.

Ich danke Herrn Nicolàs de Hilster für seine Hilfe bei den Funktionsbeschreibungen der Navigationsgeräte. Auf seiner Homepage zu nautischen und geodätischen Messinstrumenten findet man sehr interessante Informationen und weitere Links.


Animation zur Funktion des Sextanten


Kategorie: Geomathematik



Stand 2010-01-31
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