Manfred Börgens Mathematik auf Briefmarken # 52 |
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Liechtenstein 2004 Michel 1357 |
Logarithmische Spirale und 39. Mersenne-Primzahl
Liechtenstein hat mit dieser Briefmarke den Freunden der mathematischen Philatelie eine Freude gemacht. Die Marke weist einen hohen mathematischen Gehalt auf und macht neugierig auf die Bedeutung der abgebildeten Kurve und der Zahl. Die beiden stehen unabhängig voneinander für die Gebiete Analysis und Zahlentheorie.
Logarithmische Spirale
Die abgebildete Kurve ist eine logarithmische Spirale, also mit der Gleichung in Polarkoordinaten r = d·ep·φ . Dabei steht r für den Abstand zum Koordinatenursprung und φ für den Winkel mit der positiven Richtung der x-Achse; dies sieht man für einen Punkt der Kurve in der folgenden Skizze:
d und p sind zunächst frei wählbare positive Parameter für die logarithmische Spirale. d ist dabei nur ein Maßstabsfaktor, der hier beliebig eingesetzt werden kann, da der Grafiker die Achsen und deren Beschriftung fortgelassen hat; also setzen wir d = 1 . Aber das p lässt sich bestimmen, wenn man die Marke analysiert. Dazu vermisst man die Schnittpunkte der Spirale mit den drei eingezeichneten Geraden. Nimmt man zwei dieser Punkte mit den Polarkoordinaten (r1,φ1) und (r2,φ2) , so lässt sich p aus diesen vier Werten berechnen. Da die Briefmarke mehrere dieser Schnittpunkte zeigt, kann man das Ergebnis an vielen Punktepaaren überprüfen. So erhält man für p :
Die Marke aus Liechtenstein zeigt also die Spirale mit der Gleichung r = e0,3·φ .
Die Geraden, Kreise und blauen Flächen, die der Kurve unterlegt sind, sollen charakteristische Eigenschaften der logarithmischen Spirale aufzeigen:
Eine logarithmische Spirale schneidet alle Geraden durch den Ursprung (unendlich oft) unter demselben Winkel α , nämlich α = arccot p . Anders ausgedrückt: Der Tangens dieses Schnittwinkels α ist 1/p . Hier ergibt sich für p = 0,3 : α ≈ 73,3°.
Alle Kreise um den Ursprung werden ebenfalls von einer logarithmischen Spirale (jeweils genau einmal) unter demselben Winkel β geschnitten, nämlich β = arctan p = 90° - α . Anders ausgedrückt: Der Tangens dieses Schnittwinkels β ist p . Hier ergibt sich für p = 0,3 : β ≈ 16,7° .
Wir betrachten nun die Schnittpunkte der Spirale mit den Geraden (diese folgen im Winkelabstand von φ = 60° = π/3 aufeinander). Die Abstände dieser Punkte vom Ursprung bilden eine geometrische Folge. Für zwei aufeinanderfolgende Schnittpunkte mit den Polarkoordinaten (r1,φ1) und (r2,φ2) ist k = r2/r1 = e0,3·(φ2-φ1) = e0,3·φ = eπ/10 ≈ 1,369 der Progressionsfaktor.
Die Flächeninhalte der von der Spirale durchlaufenen blauen Flächen bilden ebenfalls eine geometrische Folge. Zusätzlich zu den schon verwendeten Punkten (r1,φ1) und (r2,φ2) nehmen wir den nächstfolgenden Schnittpunkt (r3,φ3) hinzu. Die beiden zugehörigen blauen Flächen werden dann von der Kurve zwischen (r1,φ1) und (r2,φ2) bzw. (r2,φ2) und (r3,φ3) durchlaufen. Ihre Flächeninhalte sind A1 = (r22-r12)·π/6 = (k2-1)·r12·π/6 und A2 = (r32-r22)·π/6 = (k4-k2)·r12·π/6 = k2·A1 . Hier ist also k2 = eπ/5 ≈ 1,874 der Progressionsfaktor.
Eine logarithmische Spirale wurde auch schon bei der Briefmarke des Monats Februar 2001 aus der Schweiz diskutiert. Die beiden Spiralen sind sich so nahe wie Liechtenstein und die Schweiz (dort ist p ≈ 0,30635 ), aber die Vermutung, dass sie sogar gleich sein könnten, lässt sich nach einer genauen Analyse der Liechtenstein-Marke nicht erhärten.
39. Mersenne-Primzahl
Primzahlen der Form mp = 2p - 1 heißen Mersenne-Primzahlen. Statt mit dem Index p kann man sie auch der Größe nach nummerieren; die n-te Mersenne-Primzahl heißt dann m#n . Die Folge der Mersenne-Primzahlen beginnt mit:
m#1 = m2 = 3
m#2 = m3 = 7
m#3 = m5 = 31
m#4 = m7 = 127
m#5 = m13 = 8191
...
Diese Zahlen sind nach dem französischen Mönch Marin Mersenne (1588 - 1648) benannt, der 2p - 1 bis p = 257 untersuchte. Die ersten vier waren schon in der Antike bekannt, im Verbindung mit den vollkommenen Zahlen; dieser Zusammenhang wird weiter unten noch erläutert. Sieht man sich diese ersten vier Mersenne-Primzahlen an, so sieht es danach aus, dass p die Folge aller Primzahlen durchläuft, und in der Tat glaubte man das bis immerhin 1536. Aber schon m#5 zeigt, dass es auch Primzahlen p gibt, für die 2p-1 nicht prim ist, denn m#5 = m13 ; also führt p = 11 offenbar nicht auf eine Mersenne-Primzahl. Dies wurde erst anderthalb Jahrtausende nach der Erkundung von m#1 ... m#4 durch die Griechen bekannt. Hudalricus Regius fand 1461 m#5 und wies 1536 nach, dass 211 - 1 = 2047 = 23·89 nicht prim ist. Aber der andere Teil der Vermutung ist richtig: p muss prim sein, damit 2p-1 prim ist. Dafür gibt es einen einfachen Beweis:
Seit der Entdeckung von Hudalricus Regius hat man intensiv nach weiteren Mersenne-Primzahlen gesucht. Leonhard Euler fand 1750 m#8 = m31 ; alle anderen Mersenne-Primzahlen wurden erst ab 1883 entdeckt. Bis zum Tag der Publikation dieser Seite (2005-09-05) hat man insgesamt 42 von ihnen gefunden.
Update 2022-09-30 Die größten der bis jetzt bekannten Mersenne-Primzahlen (ab m#35 = m1.398.269 ) wurden im Rahmen des GIMPS-Projektes entdeckt; GIMPS steht für Great Internet Mersenne Prime Search und vereint viele hundert Mitstreiter, die durch das Internet verbunden sind und ihre Rechner für die Suche nach Mersenne-Primzahlen zur Verfügung stellen. m#48 = m57.885.161 ist die größte bisher bekannte Mersenne-Primzahl, deren Nummer bekannt ist (siehe Tabelle unten). m#51 = m82.589.933 mit der vorläufigen Nummer 51 ist die größte bisher bekannte Mersenne-Primzahl – die Lücken zwischen m#48 und m#51 sind noch nicht vollständig überprüft worden.
Die Mersenne-Primzahl auf der Briefmarke ist m#39 = m13.466.917 und wurde von Michael Cameron am 14.11.2001 gefunden. Sie war bei der Ausgabe der Briefmarke die größte Mersenne-Primzahl, deren Nummer bekannt ist.
Eine Mersenne-Primzahl war schon einmal ein philatelistisches Objekt. Am 2.6.1963 entdeckte Donald B. Gillies m#23 = m11.213 und wurde von seiner Universität Urbana, Illinois mit einem Stempel geehrt:
Die Mersenne-Primzahlen stehen in einem engen Zusammenhang mit den vollkommenen Zahlen, die den Griechen der Antike besonders interessant erschienen. Eine natürliche Zahl k > 1 heißt vollkommen, wenn sie die Summe ihrer Teiler ist. Dabei zählt die 1 als Teiler mit, k selbst natürlich nicht. Für den Beweis, der gleich folgt, ist es einfacher, alle Teiler zuzulassen; die Summe der Teiler von k muss dann 2k sein. Die kleinste vollkommene Zahl ist 6 = 1 + 2 + 3 .
Es ist bis heute nicht bekannt, ob es ungerade vollkommene Zahlen gibt; alle, die man kennt, sind gerade. Allerdings sind das nicht sehr viele, nämlich bis heute genau 42. Das ist die gleiche Anzahl wie die der bekannten Mersenne-Primzahlen. Das ist kein Zufall, wie der folgende Satz zeigt:
k vollkommen und gerade <--> k = 2p-1·(2p-1) mit 2p-1 prim (also Mersenne-Primzahl)
Euklid bewies im 4. Jahrhundert v. Chr. die Richtung von rechts nach links: Teiler von k sind 2i und 2i·(2p-1) mit i = 0 ... p-1 . Ihre Summe beträgt 2p·(1 + 2 + ... + 2p-1) = 2p·(2p-1) = 2k . k ist also vollkommen. k ist auch gerade, denn sonst wäre p = 1 und somit 2p-1 nicht prim. Leonhard Euler bewies mehr als 2000 Jahre danach die Richtung von links nach rechts: k ist gerade, also k = 2b·a mit einer natürlichen Zahl b und einer ungeraden Zahl a , deren Teiler a1 ... ar sein sollen. Teiler von k sind dann 2i·aj mit i = 0 ... b, j = 1 ... r . Deren Summe ist (1 + 2 + ... + 2b)·(a1 + ... + ar) = 2k , da k vollkommen ist. Bezeichnet man die Summe der aj mit S , so folgt (2b+1-1)·S = 2k = 2b+1·a , d.h. S = 2b+1·a/(2b+1-1) = a + a/(2b+1-1) . Da S die Summe aller Teiler von a ist, hat also a genau zwei Teiler und ist somit prim. Es folgt a/(2b+1-1) = 1 und a = 2b+1-1 . Also ist a eine Mersenne-Primzahl und somit ist b+1 prim. Mit p = b+1 erhält man k = 2p-1·(2p-1) . |
Eine (unvollständige) Übersicht über Mersenne-Primzahlen und vollkommene Zahlen gibt die folgende Tabelle:
# | p | mp = 2p - 1 Mersenne-Primzahl |
2p-1·(2p - 1) vollkommene Zahl |
1 | 2 | 3 | 6 |
2 | 3 | 7 | 28 |
3 | 5 | 31 | 496 |
4 | 7 | 127 | 8.128 |
11 | |||
5 | 13 | 8.191 | 33.550.336 |
6 | 17 | 131.071 | 8.589.869.056 |
7 | 19 | 524.287 | 137.438.691.328 |
23 | |||
29 | |||
8 | 31 | 2.147.483.647 | 2.305.843.008.139.952.128 |
37 | |||
... | ... | ... | ... |
39 | 13.466.917 | 4.053.946 Stellen | |
... | ... | ... | ... |
48 | 57.885.161 | 17.425.170 Stellen | |
... | ... | ... | ... |
51 ? | 82.589.933 | 24.862.048 Stellen |
GIMPS-Stand 2022-09-30 Für den neuesten Stand siehe: Aktueller Stand der Suche nach Mersenne-Primzahlen
Die Frage, ob es unendlich viele Mersenne-Primzahlen (und damit unendlich viele gerade vollkommene Zahlen) gibt, gehört zu den ungelösten Problemen der Zahlentheorie.
Der komplette Briefmarkensatz aus Liechtenstein
Das kleine Fürstentum Liechtenstein hat die Mathematik-Briefmarke zusammen mit drei weiteren Wissenschafts-Marken herausgegeben. Auf dem Ersttagsbrief sieht man außerdem Einsteins bekannte Formel E = mc2 und seine Unterschrift.
Kategorie: Zahlen und Zahlsysteme, Berechnung von π
Publiziert 2005-09-05 Stand 2005-06-19