Manfred Börgens
Mathematische Probleme  # 8
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Problem des Monats Mai 2001

          Die Lösung steht im unteren Teil der Seite.

In hellen Scharen strömten am vergangenen Samstag die Automobilsport-Fans der Fachhochschule in Friedberg zum Schottenring. Dort fiel um 10 Uhr der Startschuss zum mit Spannung erwarteten "Professorenrennen".

Als Konkurrenten standen sich der Kollege L. (Rennstall Mercedes-SK) und der emeritierte Kollege T. (Rennstall BMW-GW) gegenüber. Das Rennen ging über eine Distanz von 145 km (9 Runden). Zahlreiche Studenten arbeiteten als Streckenposten. Sie bewiesen ihre gute mathematische Ausbildung durch wiederholte Messung der Geschwindigkeiten der beiden Boliden. Übermittelt an die Rennleitung (besetzt von MND wegen erwiesener Neutralität) wurden dabei nicht Momentangeschwindigkeiten, sondern "Etappengeschwindigkeiten"  v  auf wechselnden Streckenabschnitten.

Für die ersten 10 km benötigten beide Fahrer genau 4 Minuten (v=150 km/h). Gleich lautende Meldungen wurden während des gesamten Rennens übermittelt, bis zum Zieleinlauf: Auch die letzten 10 km wurden von beiden Autos in 4 Minuten bewältigt. Das gesamte Rennen wurde gefilmt, und die Auswertung des Videos zeigte, dass tatsächlich auf allen (beliebig gelegenen) Streckenabschnitten der Länge 10 km sowohl von L. als auch von T. die Etappengeschwindigkeit  v = 10 km/4 Min. = 150 km/h  gefahren wurde.

Gab es also ein totes Rennen?

Nein, es gab einen klaren Sieger. Hier ist er:

Bild vom Sieger
Der Sieger

Können Sie erklären, wie es möglich sein kann, dass das Siegauto im Ziel 10 Sekunden Vorsprung hatte?



Lösung



Wie das Rennen genau ablief, lässt sich aus den gemachten Angaben nicht vollständig rekonstruieren. Es gibt dafür viele Möglichkeiten, die alle zu den gleichen Etappengeschwindigkeiten und zum 10-Sekunden-Vorsprung des Siegers passen.

Zunächst ein einfaches anderes Beispiel, an dem man das Prinzip solcher Lösungen sofort erkennen kann. Man teilt eine Strecke in fünf Abschnitte gleicher Länge, lässt ein Auto auf diesen Abschnitten schnell-langsam-schnell-langsam-schnell fahren, das andere langsam-schnell-langsam-schnell-langsam, und betrachtet dann beliebige Etappen mit der Länge von zwei Abschnitten.

Bild

Jede Etappe umfasst dann für beide Autos gleich große "Langsam"- und "Schnell"-Abschnitte. Also sind alle Etappengeschwindigkeiten gleich, wenn "langsam" überall die gleiche Geschwindigkeit  v1  bedeutet und "schnell" überall die gleiche Geschwindigkeit  v2. Aber das Auto, das auf den schwarzen Abschnitten schnell fährt, ist eher am Ziel.

Auf dem Schottenring kann man es ähnlich machen. Man braucht die Gesamtstrecke von 145 km nur in eine ungerade Anzahl gleich langer Abschnitte zu teilen, wobei eine 10-km-Etappe die gleiche Länge haben muss wie eine gerade Anzahl dieser Abschnitte. Eine naheliegende (aber nicht die einzige) Möglichkeit ist, dass beide Fahrer immer abwechselnd 5 km langsam und 5 km schnell fahren (ergibt 29 Abschnitte). Der Sieger fängt dann mit einem schnellen Abschnitt an und hört mit einem schnellen Abschnitt auf, der Unterlegene fährt auf diesen beiden Abschnitten langsam.

Wie muss man dann "langsam" und "schnell" festlegen, um einen Vorsprung von 10 Sekunden für den Sieger zu erhalten? Beide Autos benötigen für jeweils 10 km 4 Minuten und liegen deshalb 5 km vor dem Ziel gleichauf. Erst der letzte 5-km-Abschnitt bringt die entscheidenden 10 Sekunden Vorsprung. Dieser Abschnitt ist für den Sieger ein schneller und für den Unterlegenen ein langsamer, somit ist die Summe ihrer Fahrzeiten dort auch 4 Minuten. Diese Zeitspanne lässt sich nur auf eine Weise so aufteilen, dass der Unterschied 10 Sekunden beträgt: 115 Sekunden + 125 Sekunden.

Beide Fahrer fahren abwechselnd 5-km-Abschnitte in 115 Sekunden (ca. 156,52 km/h) und in 125 Sekunden (144 km/h). Der Sieger beginnt mit einem schnellen, der Unterlegene mit einem langsamen Abschnitt.

Andere Lösungen lassen sich auf gleiche Weise konstruieren, z.B. mit 2,5-km-Abschnitten.



Stand 2003-01-18
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