Manfred Börgens
Mathematische Probleme  # 84
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Abhängige oder unabhängige Ereignisse ?


Einstein, Zweistein und Dreistein gehören dem Verein BA (Betaholics Anonymous) an. Bei einem Vereinstreffen schlägt Einstein Zweistein ein Wettspiel vor: Einstein zieht aus einem Skatspiel zwei Karten (verdeckt für Zweistein). Zweistein gewinnt  1000  Euro, wenn er einen Kartenwert nennt (z.B. Ass), der sich dann beim Aufdecken der beiden Karten tatsächlich vorfindet (mindestens einmal).

Dreistein kommt hinzu.
"Darf ich die beiden gezogenen Karten sehen, bevor Zweistein seinen Kartenwert nennt?"
Einstein hat nichts dagegen.
"Darf ich Zweistein mitteilen, ob sich eine Pik-Karte unter den beiden befindet?", fragt Dreistein.
Einstein antwortet: "Was soll das, was hat das mit der Wette zu tun? Willst du Zweistein verwirren? Aber von mir aus kannst du ihm das sagen."
Dreistein fragt Zweistein: "Was wäre dir denn diese Information wert?" Der mathematische Kern dieses Problems heißt also: Sind unter den genannten Voraussetzungen die Ereignisse "Ass" und "Pik" unabhängig oder abhängig?

Zur Präzisierung der Frage: Falls Zweistein meint, etwas mit der Mitteilung von Dreistein, ob (mindestens) ein Pik vorhanden ist, anfangen zu können, soll er auch die Möglichkeit haben, das Spiel abzulehnen.



Lösung



Ob Zweistein sich für das Ass entscheidet oder für einen anderen Kartenwert, ist unerheblich, also bleiben wir beim Ass. Für die Festlegung des fairen Einsatzes müssen wir die Wahrscheinlichkeit  p  berechnen, dass sich ein Ass unter den beiden gezogenen Karten befindet. Insgesamt gibt es  496  Kombinationen für die Ziehung von  2  Karten aus  32  Karten. Darunter sind  378  Kombinationen ohne Asse. Bei der folgenden Berechnung von  p  werden diese Kombinationen eingesetzt:

Formel 01

Was versteht man unter einem fairen Einsatz  x , wenn  a  die Auszahlung im Gewinnfall ist (in unserem Beispiel also  a = 1000 ) ?  Der Betrag  x  geht vom Spieler an den Anbieter und wird auf keinen Fall zurückgegeben, also auch nicht im Gewinnfall. Im Verlustfall geschieht weiter nichts; im Gewinnfall zahlt der Anbieter den Betrag  a  an den Spieler aus.  x  heißt fair, falls der Erwartungswert  g  für den Gewinn (Auszahlung minus Einsatz) gleich  0  ist; für diesen Erwartungswert wird der Gewinnfall mit  p  und der Verlustfall mit  1 - p  gewichtet:

g = p·(a-x) + (1-p)·(-x) = p·a - x = 0      →     x = p·a

Folglich müsste Zweistein  237,90  Euro (auf volle Cent gerundet) einsetzen.

Im zweiten Teil des Problems geht es um bedingte Wahrscheinlichkeiten. Denn jetzt lauten die Fragen:

Mit welcher Wahrscheinlichkeit  p1  ist ein Ass unter den gezogenen Karten, falls diese ein Pik enthalten?
Mit welcher Wahrscheinlichkeit  p0  ist ein Ass unter den gezogenen Karten, falls diese kein Pik enthalten?

Wir vereinbaren ein paar Notationen:

A :  (Mind.) ein Ass vorhanden
E1 :  (Mind.) ein Pik vorhanden
E0 :  Kein Pik vorhanden

p(A|Ej) :  Bedingte Wahrscheinlichkeit für  A  unter der Voraussetzung, dass  Ej  vorliegt  (j = 1  oder   j = 0)

Hier ist die Formel für bedingte Wahrscheinlichkeiten:

p(A|Ej) = p(A  Ej)/p(Ej)

Dabei ist  p(Ej) die Wahrscheinlichkeit für  Ej  und  p(A  Ej) die Wahrscheinlichkeit für  A und Ej .

Wir beginnen mit der Berechnung von  p(Ej). Das geht ganz analog zur Berechnung von  p . Unter den  496  möglichen Kombinationen sind  276  ohne Pik. Damit erhalten wir:

Formel 02

Für  p(A  Ej) müssen wir die Kartenpaare zählen, die sowohl ein Ass als auch ein Pik enthalten. Dafür lässt sich
-  das Pik-Ass mit allen anderen  31  Karten kombinieren,
-  jedes andere Ass ( 3  Karten) mit jedem anderen Pik ( 7  Karten) kombinieren.

Insgesamt erhalten wir  31 + 3·7 = 52  Kombinationen. Bei der Berechnung von  p  hatten wir benutzt, dass es  496 - 378 = 118  Kombinationen für das Ereignis  A  gibt. Für Ass und kein Pik verbleiben somit  118 - 52 = 66  Kombinationen.

Also ist  p = p(A) = 118/496 ,  p(A|E0) = p(A  E0)/p(E0) = (66/496)/(276/496)   und   p(A|E1) = p(A  E1)/p(E1) = (52/496)/(220/496); dies ergibt gekürzt:

Formel 03

Dies ist das Hauptergebnis dieses Problems. Tatsächlich sind also die Ereignisse "Ass" und "Pik" nicht unabhängig. Die Zusatzinformation von Dreistein, dass ein Pik gezogen wurde, lässt die Wahrscheinlichkeit für ein Ass ein wenig sinken, während die Abwesenheit von Pik diese Wahrscheinlichkeit leicht erhöht.

Ganz allgemein heißen Ereignisse  A  und  B  unabhängig, wenn  p(A  B) = p(A)·p(B) ; dies lässt sich leicht umformulieren zu  p(A) = p(A|B).

Diese Rechnung kann Zweistein zu seinem Vorteil ausnutzen. Er verwendet die folgende Strategie: Wenn er von Dreistein erfährt, dass ein Pik gezogen wird, spielt er gar nicht, denn die im Mittel zu erwartende Rückzahlung ist geringer als sein Einsatz:

p(A|E1)·a ≈ 236,36      →     g = p(A|E1)·a - x  -1,54 .

Mit der Information "kein Pik" akzeptiert Zweistein das Spiel und erhält im Schnitt

p(A|E0)·a  239,13      →     g = p(A|E0)·a - x  1,23 .

Über alle Spielrunden, also auch die von Zweistein abgelehnten Spiele eingerechnet, gewinnt Zweistein ca. p0·1,23  0,68  Euro pro Runde. Davon muss er fairerweise noch die Hälfte an seinen Helfer Dreistein geben. Natürlich sind ca. 34  Cent bei einem Einsatz von  1000  Euro wenig, aber hier ging es vorrangig um die Unabhängigkeit von Ereignissen. Auf den ersten Blick mag es durchaus so scheinen, als hätte der "Wert" einer Karte (hier das Ass) nichts zu tun mit der "Farbe" einer Karte (hier das Pik); also könnte man geneigt sein, die Information durch Dreistein als unerheblich anzusehen. Die Rechnung belehrt uns eines anderen.



Publiziert 2013-09-28          Stand 2012-06-07


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