Briefmarke des Monats Mai 2004
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Spanien 1983
Michel 2586 Scott 2326
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Leonardo Torres y Quevedo (1852 - 1936)
Wer die Niagara-Fälle an der Grenze zwischen den USA und Kanada besucht, sollte auch entlang des Niagara River weiter stromabwärts fahren, um den "Whirlpool" anzuschauen. An dieser Stelle bildet der Fluss starke Stromschnellen und ein Wirbelbecken, knickt dahinter um 90° ab und fließt dann als Wildwasser durch eine enge Schlucht in Richtung des Ontario-Sees weiter. Über den Whirlpool führt eine spektakuläre Seilbahn, die einen vorzüglichen Blick auf die Stromschnellen flussaufwärts und die Schlucht flussabwärts gewährt. Diese Seilbahn ist seit 1916 ununterbrochen in Betrieb. Sie und ihr Erbauer sind auf der Briefmarke abgebildet.
Der Ingenieur und Mathematiker Leonardo Torres y Quevedo ist in die Geschichte als der bedeutendste spanische Erfinder eingegangen. Er war dank einer großen Erbschaft finanziell unabhängig und widmete nach dem Studium der Ingenieurwissenschaften sein Leben der Forschung und der Technik. Torres wirkte in allen Gebieten, die ihn faszinierten, als echter Pionier. Ihn reizten gerade diejenigen Ideen, deren praktische Umsetzbarkeit zu seiner Zeit bezweifelt wurde. Er war Präsident der Spanischen Mathematischen Gesellschaft und der Königlich-Spanischen Akademie der Exakten Wissenschaften; später wurde er in die Französische Akademie der Wissenschaften berufen.
Leonardo Torres y Quevedo ist in Spanien ein berühmter und geehrter Mann. Sein Porträt erschien schon einmal 1955 auf einer spanischen Briefmarke :
Unter Torres' zahlreichen Patenten findet man
- ein Luftschiff, das seit 1908 in Frankreich in Serie gebaut wurde und viele Jahre im Linienverkehr eingesetzt wurde; die französische und die britische Armee setzten dieses "Astra-Torres"-Luftschiff auch im Ersten Weltkrieg ein
- eine Reihe von Seilbahnen, unter ihnen die Niagara-Bahn
- die Fernsteuerung von Maschinen mittels Radiowellen, von ihm "Telekino" genannt
- mehrere elektromechanische Rechenautomaten
- einen Schachautomaten, der auf dem Bild Norbert Wiener (rechts) 1951 von Torres' Sohn Gonzalo vorgeführt wird
Die Rechenautomaten führen uns zu Torres y Quevedos mathematischen Leistungen. Torres war keineswegs nur an der praktischen Umsetzung innovativer technischer Ideen interessiert, sondern arbeitete auch intensiv an den theoretischen Grundlagen der Automaten. Seine mathematischen Bücher umfassen die Werke Memoria sobre las Máquinas Algébricas und Ensayos sobre Automática. Im ersten Buch beschrieb er u.a. den theoretischen Einsatz eines Analogrechners für arithmetische Operationen mit komplexen Zahlen und Logarithmen; im zweiten Buch behandelte er die digitale Speicherung von Dezimalstellen, den Größenvergleich von Zahlen, die Programmierung mit bedingten Verzweigungen und auch ansatzweise die Fließkommaarithmetik. Torres hatte erkannt, welch große intellektuelle Leistung die Analytical Engine von Charles Babbage darstellte. Babbage hatte mit der Konzeption dieser Maschine schon bis 1840 alle grundlegenden Bestandteile des modernen digitalen Computers im Detail beschrieben. Insbesondere hatte er die bis heute verwendeten Grundmechanismen der Programmierung von Rechenmaschinen formuliert. Die Analytical Engine war nicht fertiggestellt worden; bei Babbages Tod 1871, als Torres noch in Madrid studierte, waren erst die Recheneinheit und der Drucker fertig. Torres war davon überzeugt, dass die elektromechanischen Antriebe die Technik revolutionieren würden, und entwarf alle Komponenten der Analytical Engine auf dieser Basis aufs Neue (Babbage war noch davon ausgegangen, dass seine Maschine durch Dampf angetrieben werden würde). Torres' Hauptwerk Ensayos sobre Automática enthält beispielhaft den vollständigen Schaltplan zur automatischen Berechnung von x·(y - z)2.
Torres' Rechenautomaten lösten in der wissenschaftlichen Welt Erstaunen und Bewunderung aus, aber kein einziger davon wurde in Serie gebaut. Daran lag ihm auch wenig, da er in erster Linie die prinzipielle Machbarkeit von elektromechanischen Rechenmaschinen beweisen wollte. Außerdem sah man zu seiner Zeit keinen echten Bedarf an solchen Geräten - dies änderte sich erst im Zweiten Weltkrieg. Torres baute schon 1894 eine Rechenmaschine, von der behauptet wird, dass sie bestimmte algebraische Gleichungen lösen konnte; sie ist im nächsten Bild oben links abgebildet. Daneben ist seine Maschine zur automatischen Berechnung aller reellen und komplexen Lösungen von beliebigen Gleichungen dritten Grades zu sehen, die er 1895 fertigstellte. 1914 baute er einen Automaten nach den Prinzipien der Ensayos, um die technische Umsetzung der elektromechanischen Variante der Analytical Engine an einem Beispiel zu demonstrieren; dieser Automat berechnete die Werte von x·y - z . Torres' größter Rechner wurde von ihm 1920 präsentiert: Das Aritmómetro Electromecánico, unten im großen Bild zu sehen. Dieses "Arithmometer" beherrschte alle Grundrechenarten. Die Eingabe erfolgte über eine Schreibmaschinentastatur, die Ausgabe über einen Drucker. Interessant für die Geschichte der Informatik ist, dass das Arithmometer bereits über einen Speicher für Zwischenwerte verfügte.
Stand 2004-03-01
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Manfred Börgens | zur Leitseite