Manfred Börgens
Mathematik auf Briefmarken  # 61
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Portraits

Portugal 2000


Henri Poincaré (1854 - 1912)   links
Kurt Gödel (1906 - 1978)   Mitte
Andrej Nikolajewitsch Kolmogorow (1903 - 1987)   rechts


Portugal hat im Jahr 2000 zur Feier des Milleniums einen umfangreichen Satz "O SÉCULO XX" ("Das 20. Jahrhundert") herausgegeben. Auf den Marken sind Porträts bedeutender Menschen des vorigen Jahrhunderts abgebildet. Sie sind nach wissenschaftlichen, kulturellen und anderen Gebieten geordnet. Eine der Briefmarken ist hier abgebildet und trägt als Untertitel "MATEMÁTICA". Die Marke zeigt drei bedeutende Mathematiker des 20. Jahrhunderts. Die Lebenszeit Andrej Kolmogorows und Kurt Gödels fällt voll in diese Zeit; Henri Poincaré lebte überwiegend im 19. Jahrhundert, hat aber wesentliche Teile seiner mathematischen Werke nach 1900 verfasst.



Der französische Mathematiker Henri Poincaré gilt als einer der letzten Generalisten. Seine Beiträge zu vielen verschiedenen Gebieten der Mathematik machten ihn zu einer führenden Gestalt der wissenschaftlichen Welt um die Jahrhundertwende.

Poincaré erhielt seine mathematische Ausbildung an der École Polytechnique, der École des Mines (Bergbauinstitut) und der Universität Paris, wo er 1879 über Differentialgleichungen promovierte. Nach zwei Jahren an der Universität Caen kehrte er nach Paris zurück und forschte und lehrte dort bis zu seinem Tod. Er wurde vielfach geehrt; u.a. wurde er zum Präsidenten der Académie des Sciences und zum Direktor der Académie Française gewählt.

Von den zahlreichen Leistungen Poincarés seien nur einige wesentliche herausgegriffen. Er gilt als Begründer der Algebraischen Topologie (siehe Kasten Poincaré-Vermutung) und lieferte grundlegende Beiträge zu automorphen Funktionen, zu analytischen Funktionen mehrerer komplexer Variablen, zur Algebraischen Geometrie und zur Zahlentheorie. In der angewandten Mathematik forschte Poincaré erfolgreich in vielen Sparten der Physik, u.a. zur Speziellen Relativitätstheorie und zum Drei-Körper-Problem. Er war davon überzeugt, dass Mathematik und Naturwissenschaften einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft verdienten und veröffentlichte deshalb mehrere populärwissenschaftliche Schriften.

Die Poincaré-Vermutung

Durch zahlreiche Veröffentlichungen in der Presse anlässlich des Internationalen Mathematiker-Kongresses 2006 in Madrid wurde die Poincaré-Vermutung auch vielen Nicht-Mathematikern bekannt. Für den Beweis der Vermutung war 2000 einer der Clay-Millenium-Preise im Wert von einer Million Dollar ausgelobt worden. Grigori Perelman hat 2002 einen Beweis vorgelegt. Dieser wird seither geprüft, und allmählich verfestigt sich die Überzeugung, dass Perelmans Beweis korrekt ist. Seine Ablehnung der Fields-Medaille, die er auf dem Madrider Kongress für diese Leistung erhalten sollte, sorgte für Schlagzeilen.

Die Poincaré-Vermutung macht eine Aussage über Objekte im vierdimensionalen Raum. Um sie zu verstehen, betrachten wir zunächst ihr Analogon im dreidimensionalen Raum unserer Anschauung R3; dabei steht R für die reellen Zahlen. Die Kugeloberfläche ("2-Sphäre") in R3 ist topologisch äquivalent ("homöomorph") zu anderen Flächen, zu denen sie stetig verformt werden kann, z.B. zur Oberfläche eines Ellipsoiden oder einer Birne. Die für die 2-Sphäre verallgemeinerte  -  und für diesen Fall bewiesene  -  Poincaré-Vermutung lautet: Alle einfach zusammenhängenden, endlichen, randlosen Flächen sind homöomorph zur Kugeloberfläche. "Einfach zusammenhängend" bedeutet vereinfacht ausgedrückt, dass die Fläche einen Körper ohne Löcher begrenzt; ein Torus etwa hat diese Eigenschaft nicht. Das wird in der Topologie so beschrieben: Jede geschlossene, kreuzungsfreie Kurve auf der Fläche kann stetig zu einem Punkt zusammengezogen werden.

Die Definition der 2-Sphäre in Mittelpunktslage mit Radius 1 ist  x12 + x22 + x32 = 1 . Dies lässt sich auf höherdimensionale Räume verallgemeinern, indem man die n-dimensionalen Oberflächen von Kugeln ("n-Sphären") in Rn+1 betrachtet. Für  n = 3  lautet die Gleichung der 3-Sphäre  x12 + x22 + x32 + x42 = 1 . Poincaré stellte die nach ihm benannte Vermutung auf, dass alle einfach zusammenhängenden, endlichen und randlosen (dreidimensionalen) Oberflächen vierdimensionaler Körper homöomorph zur 3-Sphäre sind. Er konnte es nicht beweisen. Merkwürdigerweise blieb der Fall  n = 3  bis vor kurzem der einzige unbewiesene, denn die entsprechenden Aussagen sind für alle  n > 3  im 20. Jahrhundert bewiesen worden.


Der österreichische Mathematiker und Logiker Kurt Gödel ging in Brünn (heute Tschechien) zur Schule und studierte an der Universität Wien ab 1923. In seiner Dissertation Über die Vollständigkeit des Logikkalküls (1929) befasste sich Gödel mit den Grundlagen der Mathematik und bewies die Vollständigkeit des Axiomensystems der Prädikatenlogik erster Stufe.

Seinen Ruhm verdankt Gödel seiner Habilitationsschrift Über formal unentscheidbare Sätze der Principia mathematica und verwandter Systeme (1931). Darin sind die beiden Unvollständigkeitssätze enthalten, die die mathematische Welt erschütterten, weil damit das Hilbertsche Programm der vollständigen Axiomatisierung der Mathematik als nicht durchführbar erkannt wurde (siehe Kasten Die Gödelschen Unvollständigkeitssätze).

Gödel arbeitete als Privatdozent an der Universität Wien von 1933 bis 1938. Er reiste in dieser Zeit zweimal zu Forschungsaufenthalten nach Amerika an das Institute for Advanced Study in Princeton. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Österreich erhielt Gödel keine adäquate akademische Position (nicht aus Gründen seiner Herkunft, denn Gödel war kein Jude) und wanderte mit seiner Frau 1940 nach Amerika aus. Er erhielt eine Stellung am Institute for Advanced Study und blieb bis zu seinem Tod in Princeton, ab 1953 als Lehrstuhlinhaber. Er veröffentlichte weitere einflussreiche Schriften zur mathematischen Grundlagenforschung, u.a. zum Auswahlaxiom und zur Kontinuumshypothese.

Kurt Gödel war ein ausgeprägter Hypochonder. Er zog sich zunehmend zurück, pflegte allerdings eine enge Freundschaft mit Albert Einstein. Wegen überzogener diätetischer Vorstellungen und im Wahn, man wolle ihn vergiften, hungerte er sich im Alter von 71 Jahren zu Tode.

Die Gödelschen Unvollständigkeitssätze

Der erste Gödelsche Unvollständigkeitssatz besagt, dass es in jedem widerspruchsfreien und rekursiv entscheidbaren Axiomensystem, das die elementare Arithmetik umfasst, Aussagen gibt, die weder bewiesen noch widerlegt werden können.

Innerhalb eines solchen Axiomensystems lässt sich nach dem zweiten Gödelschen Unvollständigkeitssatz die Widerspruchsfreiheit nicht nachweisen.

Eine Folgerung der Gödelschen Unvollständigkeitssätze ist, dass kein Computerprogramm in der Lage sein kann, beliebige mathematische Sätze zu beweisen.


Andrej Kolmogorow war Russe und studierte ab 1920 an der Universität Moskau Mathematik, Metallurgie und Geschichte. Bis zu seinem Studienabschluss 1925 konnte er bereits etliche mathematische Veröffentlichungen vorweisen. 1929 folgte die Promotion, 1931 die Ernennung zum Professor an der Moskauer Universität.

Kolmogorows Name ist eng verbunden mit der Entwicklung der Wahrscheinlichkeitstheorie. 1933 präsentierte er in Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung ein bis heute verwendetes Axiomensystem für die Stochastik (siehe Kasten Kolmogorow-Axiome). Auf diesem Gebiet folgten Beiträge zu Markow-Ketten und Anwendungen der Stochastik in der Physik.

Kolmogorows Wirken erstreckte sich aber weit über die Stochastik hinaus. Er publizierte wichtige Beiträge u.a. zur Topologie, Approximationstheorie, Funktionalanalysis und zur Theorie dynamischer Systeme.

Andrej Kolmogorow gründete eine Schule für begabte Kinder und widmete ihr einen erheblichen Teil seiner Zeit. Er liebte es, im Kreise dieser Kinder zu sein, die er als eine große Familie ansah, nicht nur um sie zu unterrichten, sondern auch um ihre Interessen und ihre Persönlichkeit auf Ausflügen und Expeditionen zu fördern.

Die Kolmogorow-Axiome

Es gelang Kolmogorow, mit erstaunlich wenigen Definitionen und Axiomen auszukommen, um eine Grundlage für die Stochastik zu schaffen:

Zunächst benötigt man eine Definition von "Ereignissen". Ereignisse sind die Elemente einer σ-Algebra Σ. Diese besteht aus Teilmengen einer Menge Ω mit der Maßgabe, dass Ω selbst sowie Komplemente und abzählbare Vereinigungen dieser Teilmengen in Σ liegen.

Es gibt eine Funktion, die jedem Ereignis eine Zahl zwischen 0 und 1 zuordnet ("Wahrscheinlichkeit" des Ereignisses). Die Wahrscheinlichkeit von Ω ist 1 ("sicheres Ereignis"). Die Wahrscheinlichkeit für die Vereinigung abzählbar vieler disjunkter Ereignisse ist die Summe der Einzelwahrscheinlichkeiten.

Mehr wird nicht benötigt, um die bekannten Lehrsätze der Wahrscheinlichkeitstheorie herzuleiten.





Publiziert 2007-11-25          Stand 2007-07-26


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