Manfred Börgens
Mathematische Probleme  # 34
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Problem des Monats Oktober 2003

Nach der Analysis-Vorlesung stärken sich die Mathematik-Studenten Adam, Carl Friedrich, Gottfried Wilhelm und Leonhard in der Mensa.

Sie mögen alle die gleichen Speisen. Adam steht als Erster an der Kasse und bezahlt für einen Schokoriegel, zwei Bananen und einen Becher Joghurt 1,90 Euro. Hinter ihm kommt Carl Friedrich mit zwei Schokoriegeln, einer Banane und einem Becher Joghurt, er zahlt 1,80 Euro. Gottfried Wilhelm und Leonhard kennen die Einzelpreise für Riegel, Banane und Joghurt nicht, haben aber aufgepasst, was Adam und Carl Friedrich vor ihnen bezahlen mussten. Gottfried Wilhelm (der Dickste der vier) legt für seine fünf Schokoriegel, eine Banane und zwei Becher Joghurt selbstsicher das abgezählte Geld hin, bevor die Kassiererin die Summe ausgerechnet hat (sie stellt fest, es stimmt). Leonhard würde es gerne Gottfried Wilhelm gleichtun, aber er glaubt, dass dies bei seinen zwei Schokoriegeln, zwei Bananen und einem Becher Joghurt nicht geht.

1.  Wieviel bezahlt Gottfried Wilhelm?

2.  Hat Leonhard recht?

3.  Welche allgemeine Gesetzmäßigkeit steckt hinter dem Mensa-Problem?



Lösung



Hier sind zunächst die Antworten auf die drei Fragen:

1.  3,50 Euro.

2.  Ja.

3.  Bekannt sind zwei "Mengenvektoren" und die zugehörigen Preise. Für einen weiteren Mengenvektor lässt sich der zugehörige Preis genau dann ausrechnen, wenn dieser Mengenvektor eine Linearkombination der beiden ersten ist.

Wie könnte Gottfried Wilhelm gerechnet haben? Er hat vielleicht erkannt, dass sein Mengenvektor  (5,1,2)  genau das Dreifache von Carl Friedrichs Mengenvektor abzüglich Adams Mengenvektor ist:

(5,1,2) = 3·(2,1,1) - (1,2,1)

Also muss er  3·1,80 Euro - 1,90 Euro = 3,50 Euro  bezahlen.

Wieso geht das bei Leonhard nicht? Bei Gottfried Wilhelm ist sein Mengenvektor eine Linearkombination der beiden ersten Mengenvektoren, wie wir eben gesehen haben. Leonhard kann leicht feststellen, ob das bei ihm auch so ist: Er stellt die Mengenvektoren von Adam, Carl Friedrich und sich selbst zu einer Matrix zusammen und berechnet deren Determinante:

     1 2 1
det  2 1 1  =  1
     2 2 1

Nur dann, wenn die Determinante gleich Null ist, lässt sich eine Zeile als Linearkombination der beiden anderen schreiben. Gottfried Wilhelm und Leonhard sind als gute Mathematiker natürlich in der Lage, eine 3x3-Determinante schnell im Kopf auszurechnen. Leonhard kann es dann gleich aufgeben, den Preis für seine Speisen ausrechnen zu wollen, wogegen Gottfried Wilhelm, dessen Determinante Null ergibt, weiß, dass er eine Linearkombination finden kann - was ihm ja auch mit Geschick und vielleicht etwas Glück gelingt. (Für den systematischen Ansatz, nämlich die Lösung des Gleichungssystems  p·(1,2,1) + q·(2,1,1) = (5,1,2)  ist vermutlich an der Mensakasse zu wenig Zeit.)

Es soll noch ein anderer elementarer Rechenweg für Gottfried Wilhelm und Leonhard gezeigt werden. Ausgehend von dem Gleichungssystem für die Einzelpreise  x, y, z

 x + 2y + z = 190
2x +  y + z = 180

erhält man  x = (170-z)/3  und  y = (200-z)/3 . Setzt man dies in Gottfried Wilhelms  5x + y + 2z  ein, erhält man das erwartete Ergebnis 350 (Cent). Beim Einsetzen in Leonhards  2x + 2y + z  erhält man  (740-z)/3 ; damit kann man nichts anfangen, da  z  unbekannt ist.


Der allgemeine Lösungsweg geht aus von zwei Gleichungen

a1·x + b1·y + c1·z = d1
a2·x + b2·y + c2·z = d2

Im Sinne der Aufgabenstellung soll dieses Gleichungssystem lösbar sein (denn sonst hätte sich die Kassiererin verrechnet) und die beiden Gleichungen sollen linear unabhängig sein (also nicht eine Gleichung ein Vielfaches der anderen sein), weil sonst das Problem langweilig wäre. Nun wird eine dritte Gleichung hinzugefügt:

a1·x + b1·y + c1·z = d1
a2·x + b2·y + c2·z = d2
a3·x + b3·y + c3·z = ?

In diesem System stellen also die  ai, bi, ci  die (bekannten) Mengen dar,  x, y, z  die (unbekannten) Einzelpreise und  d1, d2  die (bekannten) Gesamtpreise. Das Fragezeichen steht für das gesuchte  d3 .

Ist die Determinante

               a1 b1 c1
det
 abc = det  a2 b2 c2
 
              a3 b3 c3

ungleich Null, so lässt sich für das Fragezeichen im Gleichungssystem jedes beliebige  d3  einsetzen, jedesmal würde man eine andere eindeutige Lösung für  x, y, z  erhalten. Ist dagegen die Determinante gleich Null, so erhält man  d3 , indem man die letzte Gleichung als Linearkombination der beiden ersten schreibt:

p·(a1,b1,c1) + q·(a2,b2,c2) = (a3,b3,c3)

Daraus berechnet man  p  und  q  und damit den gesuchten Wert  p·d1 + q·d2 = d3 .


Nun soll noch eine allgemeine Formel für den gesuchten Preis  d3  hergeleitet werden (falls die Determinante gleich Null ist). Aus den beiden ersten Gleichungen des Gleichungssystems - die wieder linear unabhängig sein sollen - erhält man erst durch Eliminierung von  y , dann durch Eliminierung von  x  Gleichungen  x = f1(z)  und  y = f2(z) , die sich auch schreiben lassen als:

x = (det bc · z - det bd) / det ab = f1(z)
y
 = (-det ac · z + det ad) / det ab = f2(z)

Dabei ist  det ab  die Determinante der Matrix

a1 b1
a2 b2

Entsprechend sind die anderen Determinanten definiert. Diese Auflösung nach  x  und  y  geht natürlich nur, wenn  det ab  nicht Null ist, aber das ist keine wesentliche Einschränkung. Denn mindestens eine der Determinanten  det ab, det ac, det bc  muss von Null verschieden sein, denn sonst wären die beiden ersten Gleichungen linear abhängig. Durch Vertauschung der Variablen  x, y, z  kann man also immer erreichen, dass  det ab  nicht Null ist.

Nun setzt man in die linke Seite der dritten Gleichung  a3·x + b3·y + c3·z  die eben gefundenen Ausdrücke  f1(z)  für  x  und  f2(z)  für  y  ein. Eine leichte Umformung ergibt dann

(det abc · z - a3 · det bd + b3 · det ad) / det ab

Nun ist aber  det abc = 0 , so dass  z  aus diesem Term verschwindet; übrig bleibt der gesuchte Wert für  d3 :

d3 = (-a3 · det bd + b3 · det ad) / det ab


Geometrische Veranschaulichung

Die beiden Gleichungen für Adam und Carl Friedrich bestimmen jeweils eine Ebene im Raum. Da beide Gleichungen zusammen lösbar und linear unabhängig sein sollen, schneiden sich die beiden zugehörigen Ebenen entlang einer Geraden. Eine dritte Gleichung (z.B. die für Gottfried Wilhelm oder Leonhard) bestimmt eine weitere Ebene.
1. Fall (Leonhard): Diese Ebene schneidet die Gerade in einem Punkt (dann sind alle drei Gleichungen linear unabhängig). Dieser Punkt ist aber nicht bestimmbar, da  d3  unbekannt ist.
2. Fall (Gottfried Wilhelm): Gerade und dritte Ebene liegen parallel (dann ist die linke Seite der dritten Gleichung eine Linearkombination der linken Seiten der beiden ersten Gleichungen). Das Gleichungssystem wird also genau dann lösbar, wenn die Gerade in der Ebene liegt. Zu dieser speziellen Geraden bestimmt man das zugehörige  d3 .



Stand 2003-09-21
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