Manfred Börgens Mathematik auf Briefmarken # 9 |
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China 1999 Michel 3091 |
Chen Jing-run (1933 - 1996)
Zu dieser Briefmarke hat mein Kollege Professor Dr. Hartmut Siebert den folgenden Gastkommentar geschrieben, wofür ich ihm herzlich danke.
Auf der ganz in Blautönen gehaltenen Marke sieht man ein Porträt des chinesischen Mathematikers Chen Jing-run, eine Reihe chinesischer Schriftzeichen und die Ungleichung
deren Bedeutung sich auf den ersten Blick nur demjenigen erschließt, der sich schon intensiv mit der "Goldbach'schen Vermutung" beschäftigt hat.
Sie ist benannt nach Christian Goldbach (1690 - 1764), der als Sekretär der Akademie in St. Petersburg einen regen Schriftwechsel mit vielen europäischen Wissenschaftlern führte. In der Fußnote zu einem Brief an Leonhard Euler (1707 - 1783) am 7. Juni 1742 sprach er die Vermutung aus, dass sich jede gerade Zahl größer als 2 als Summe von zwei Primzahlen schreiben lässt.
Diese mehr als 250 Jahre alte Vermutung ist bis heute weder bewiesen noch widerlegt. Noch 1912 bezeichnete sie Edmund Landau (1877 - 1938), der zu seiner Zeit eine Art "Zahlentheorie-Papst" war, als "unangreifbar beim heutigen Stande der Wissenschaften". Schon 3 Jahre später gab es einen ersten Beweisversuch durch Jean Merlin. Sein Beweis war zwar fehlerhaft, seine Grundidee, das Sieb des Eratosthenes weiterzuentwickeln und mit Methoden aus Kombinatorik und Analysis zu kombinieren, hat sich aber als sehr fruchtbar erwiesen. 1920 konnte Viggo Brun (1885 - 1978) mit solchen Methoden zeigen:
Jede genügend große gerade Zahl 2n lässt sich in der Form 2n = r + s schreiben, wobei r und s jeweils aus höchstens 9 Primfaktoren (mit Vielfachheit gezählt) bestehen. |
Jetzt musste man "nur noch" den Beweis so verbessern, dass man die Zahl 9 durch 1 ersetzen kann und hätte wenigstens für alle genügend großen 2n die Vermutung bewiesen. Den Rest könnte dann ein Computer erledigen.
Es hat auch andere methodische Ansätze und Teilergebnisse gegeben, von denen wir in diesem kurzen Artikel nicht sprechen werden, um ihn nicht zu überfrachten.
Um die Verbesserungen der Brun'schen Aussage knapp darstellen zu können, benutzen wir das "Stenogramm" (a, b) für die Aussage:
Jede genügend große gerade Zahl 2n lässt sich in der Form 2n = r + s schreiben, wobei r aus höchstens a und s aus höchstens b Primfaktoren besteht. |
So abgekürzt wäre das Brun'sche Ergebnis : ( 9, 9 ) . In den nächsten Jahrzehnten wurden folgende Verbesserungen erzielt:
1948 hatte A. Rényi gezeigt, dass es überhaupt eine Zahl b gibt mit ( 1, b ). Die Methode schien Anfang der 70er Jahre mit dem Buchstab'schen Ergebnis ( 1, 3 ) ausgereizt und eine weitere Verbesserung auf diesem Wege galt als unvorstellbar. 1965 hatte Chen zwar in einer chinesischen Fachzeitschrift angekündigt, er habe einen Beweis für ( 1, 2 ) , was aber in der Fachwelt stark bezweifelt wurde. Wegen der Folgen der Kulturrevolution konnte auch kein westlicher Mathematiker mit ihm Kontakt aufnehmen. Nach der vorsichtigen Öffnung Chinas gegen Ende der Kulturrevolution erschien 1973 der komplette Beweis in "Scientia Sinica". Ich erinnere mich noch gut daran, wie mein damaliger Chef Prof. H.-E. Richert mir eine Kopie dieses Aufsatzes auf den Schreibtisch legte mit dem Auftrag "Suchen Sie mal den Fehler!"
Einen Fehler habe ich nicht gefunden und viele andere, die sehr genau hingesehen haben, auch nicht. Die Arbeit von Chen ist bis heute nicht übertroffen worden.
Wir können jetzt auch die merkwürdige Ungleichung auf der Briefmarke erklären: Sie ist eine quantitative Form des Satzes von Chen:
steht für die Anzahl der Darstellungen der geraden Zahl x als Summe einer Primzahl (p) und einer Zahl mit höchstens 2 Primfaktoren (P2) , Cx für das Produkt
aus einem konvergenten unendlichen Produkt, erstreckt über alle ungeraden Primzahlen und einem Produkt, erstreckt über alle ungeraden Primteiler von x.
Die Aussage auf der Briefmarke heißt also ausführlich so: Für jede genügend große gerade Zahl x ist
Einen Ansporn, die Goldbach'sche Vermutung vollständig zu beweisen, hat der Verlag Faber & Faber gegeben, indem er 1 Million $ für diesen Beweis ausgesetzt hat, allerdings unter engen Rahmenbedingungen. Es darf bezweifelt werden, ob es wirklich nötig war, dass der Verlag sich sogar für den Fall der Auszahlung versichert hat.
Zur Bedeutung der Schriftzeichen auf der Briefmarke:
Die Zeichen oben
Die Zeichen unten
Zum Schluss eine Spekulation über die Farbe: In China steht die Farbe Blau u. a. für "hohe Stellung, aber ein Aufstieg mit Sorgen". Beides trifft auf Chen zu.
Für diesen Hinweis und Informationen über die Hintergründe der chinesischen Kulturrevolution bedanke ich mich bei meinem Kollegen Professor Dr. Reinhard Mann. Er hat mir auch Übersetzungen der chinesischen Schriftzeichen am oberen und unteren Rand der Briefmarke angefertigt. Die Zeichen in der Mitte sind sehr klein und schwer zu entziffern. Meinem Sammlerkollegen Dieter Egelriede verdanke ich aber den Hinweis, dass der Name "Dirichlet" dort auftaucht; er hat mir dazu das folgende Bild geschickt: