Manfred Börgens
Mathematik auf Briefmarken  # 127
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Immanuel Kant (1724 - 1804)    zu seinem 300. Geburtstag am 22. April 2024


Die deutsche Post hat die linke Briefmarke Immanuel  Kant zu seinem 250. und die rechte zu seinem 300. Geburtstag gewidmet.

Immanuel Kant war kein Mathematiker. Er war einer der bedeutendsten Philosophen der Geschichte. Dass er anlässlich seines 300. Geburtstages in dieser Briefmarkenreihe erscheint, hat seine Berechtigung in Kants Beiträgen zur Philosophie der Mathematik  –  aber nicht nur darin, wie wir sehen werden.

Bevor wir auf Kants Philosophie eingehen, soll seine Beziehung zur Mathematik kurz dargestellt werden.

In seinem Studium an der Universität Königsberg hörte Kant auch Vorlesungen in Mathematik und Naturwissenschaften. Diese waren offenbar nicht nebensächlich für ihn, denn er war in der Lage, sich in seinen späteren Schriften mit der damals aktuellen Physik auseinanderzusetzen. Dies gilt besonders für die Physik Isaac Newtons. Noch vor Newton hat Kant das Prinzip der instantanen Fernwirkung für die Gravitation postuliert.

Als Kant Privatdozent an der Universität Königsberg wurde, hielt er Vorlesungen in zahlreichen Disziplinen  –  eben nicht nur in Philosophie, sondern u.a. in Mathematik, Logik, Physik und Mechanik. In einem Interview berichtete Albrecht Beutelspacher, dass Kant sein Leben lang mathematische Vorlesungen gehalten hat.

Im gleichen Interview kommt auch zur Sprache, dass Kant ein Abzählverfahren für die Menge der rationalen Zahlen gefunden hat, das deren Gleich-Mächtigkeit mit der Menge der natürlichen Zahlen beweist  –  mehr als 100 Jahre vor Georg Cantors Diagonalverfahren.

Kant hatte eine sehr hohe Meinung über die Mathematik. In seiner Elementarlehre liest man (gekürzt): "Die eigentliche Würde der Mathematik (dieses Stolzes der menschlichen Vernunft) beruht darauf, dass  –  da sie der Vernunft die Leitung gibt, die Natur in ihrer Ordnung und Regelmäßigkeit einzusehen  –  sie zum Gebrauch der Vernunft Anlass und Aufmunterung ergibt."

Die wesentlichen Gedanken zur Mathematik in Kants Philosophie finden sich in seinem Hauptwerk  Kritik der reinen Vernunft. Eine zentrale Frage für Kant war, zu welchen Erkenntnissen  –  die bei Kant "Urteile" heißen  –  der Mensch fähig ist. Er unterscheidet Urteile nach zwei Kriterien: Analytisch vs. synthetisch und a priori vs. a posteriori.

In analytischen Urteilen ergibt sich ihre Wahrheit aus der Bedeutung der Begriffe, sie enthalten keine neuen Informationen.

Synthetische Urteile beschreiben Erkenntnisse, die unser Wissen erweitern. Sie erschließen sich nicht aus der Definition des verwendeten Subjekts.

Urteile a priori stützen sich nicht auf eine Erfahrung oder Wahrnehmung, sondern werden aus der Vernunft durch logisches Schließen gewonnen. Man erkennt sie an ihrer strengen Allgemeinheit und ihrer Notwendigkeit, d.h. ihre Negation enthält einen logischen oder realen Widerspruch.

Urteile a posteriori sind aus der Erfahrung oder Beobachtung gewonnen.

Nun könnte man meinen, dass es dieser doppelten Unterscheidung nicht bedarf, denn Beispiele aus der Alltagssprache fallen in der Regel in eine von zwei Klassen:
    Analytisch und a priori: "Ein Greis ist alt."
    Synthetisch und a posteriori: "Diese Katze ist drei Jahre alt."
Aber Kant ging darüber hinaus. Während analytische Urteile a posteriori per Definition nicht möglich sind, galt sein Interesse der Frage, ob es synthetische Urteile a priori geben kann.


Synthetische Urteile a priori

Die Frage nach solchen Urteilen handelt von der Möglichkeit, neue Erkenntnisse rein vernunftmäßig ohne Rückgriff auf Erfahrungen zu gewinnen. Das war im 18. Jahrhundert eigentlich kein neues Problem, denn schon im antiken Griechenland gab es unter den Gelehrten die Auffassung, dass man bestimmte Wahrheiten nur durch Denken, ohne Begründung durch Naturbeobachtungen, erkennen kann. In der Antike und bei Kant gilt die Mathematik als Paradebeispiel dafür.


Die Rolle der Mathematik in Kants Philosophie

Kant war sich sicher, dass die gesamte reine Mathematik aus synthetischen Urteilen a priori besteht. Nehmen wir als Beispiel den Satz "Die Winkelsumme im Dreieck beträgt 180°". Nach Kant steckt diese Winkelsumme nicht in der Wortbedeutung des Begriffs "Dreieck", also handelt es sich nicht um eine analytische Aussage. Sie ist auch nicht "a posteriori". Man kann zwar wiederholte Messungen an Dreiecken vornehmen, um eine Vermutung zu generieren, aber diese erlauben keine allgemeine und logisch unausweichliche Aussage. Eine solche wird erst durch reine Verstandesüberlegungen möglich, wie man sie etwa in Euklids Elementen findet. Wir lesen bei Kant: "Die Mathematik gibt uns ein glänzendes Beispiel, wie weit wir es, unabhängig von der Erfahrung, in der Erkenntnis a priori bringen können".

Kant hat damit dezidiert zum Wesen der Mathematik Stellung bezogen. Bis heute arbeiten sich Philosophen und Mathematiker daran ab, ob Kants Position haltbar ist.

Die Mathematik war aber für Kant nur ein Ausgangspunkt, gewissermaßen ein Vorbild für die Suche nach synthetischen Urteilen a priori in der Wissenschaft. Das wird sehr deutlich in seiner Aussage "Ich behaupte aber, dass in jeder besonderen Naturlehre nur soviel eigentliche Wissenschaft angetroffen werden kann, als darin Mathematik anzutreffen ist." Und Kants Ziel war, dies auf die Metaphysik auszudehnen, sie sollte wissenschaftlich und nicht spekulativ sein. Er wollte in seinen Werken Erkenntnisse verbreiten, die denknotwendig und erfahrungsunabhängig sind.



Publiziert 2024-04-22          Stand 2024-04-22


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