Manfred Börgens Mathematik auf Briefmarken # 58 |
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Dänemark 1970 Michel 506 Scott 477 Niederlande 1970 Michel 936 Scott B457 |
Superellipsen
Die linke Briefmarke hat einen Bezug zur Mathematik, der nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Sie wurde 1970 in Dänemark zum 200. Geburtstag des Bildhauers Bertel Thorvaldsen (1770 - 1844) herausgegeben. Ist die weiße Fläche um Thorvaldsens Porträt ein mehr oder weniger zufällig gebildetes Oval oder ist sein Rand vielleicht eine vom Grafiker gezielt ausgewählte und korrekt dargestellte Ellipse oder eine andere mathematische Kurve? Die Antwort darauf ist: Auf der Briefmarke sehen wir eine Superellipse. Darauf hat Martin Gardner in seinem Buch "Mathematischer Karneval" hingewiesen. In einem Kapitel dieses Buches über den dänischen Erfinder und Dichter Piet Hein kann man viel über diese Kurve und über Piet Heins besonderes Interesse an ihr lernen.
Gleichung einer Superellipse mit Halbachsen a und b |x/a|r + |y/b|r = 1 (r > 2) |
Die rechte Briefmarke zeigt eine frühe Computergrafik, die an der Technischen Universität Eindhoven 1970 mit Hilfe des Computers CORA I erstellt wurde. Darüber schreibt Howard W. Eves in "Mathematical Circles Adieu" im Abschnitt 282° (jeder Band der Reihe "Mathematical Circles ..." ist statt in Kapitel in 360 Grad aufgeteilt): "The 12c stamp shows an axonometric projection of a cube, the faces of which contain a central circle surrounded by a set of concentric superellipses (x/a)n + (y/b)n = 1, n > 2 ." Zu ergänzen wäre, dass man auf die Betragstriche (siehe Kasten) nicht verzichten kann. Außerdem gilt hier a = b ; auf der Marke sind also eigentlich Superkreise abgebildet.
Welche besonderen Eigenschaften haben Superellipsen? In gewisser Weise interpolieren sie Ellipsen und Rechtecke. Bei einer Ellipse ist r = 2 . Je größer r gewählt wird, desto mehr schmiegt sich die Superellipse dem umbeschriebenen Rechteck an. In der folgenden Skizze ist die innere Kurve eine Ellipse und die äußere eine Superellipse mit r = 3 .
Noch einmal zurück zu den beiden Briefmarken. Piet Heins bevorzugter Exponent ist r = 2.5 und wurde auch auf der dänischen Marke verwendet. Das Verhältnis a/b der beiden Halbachsen beträgt ca. 74/91 . Auf der niederländischen Marke ist a/b = 1 , da es sich um Superkreise handelt. Da das Zitat von H. W. Eves die einzige mir bekannte Erwähnung von Superellipsen auf dieser Briefmarke ist, habe ich zur Überprüfung eine ähnliche Computergrafik angefertigt, mit Halbachsenlängen 0.1 bis 0.9 (Schrittweite 0.1 ) und Exponenten 2 bis 18 (Schrittweite 2 ):
Die Skizze hat eine genügend große Ähnlichkeit mit der Briefmarke , so dass Eves' Feststellung plausibel ist. Dennoch würde ich gerne mehr über die Entstehung dieser Marke erfahren und wäre für Informationen dankbar.
Abschließend soll eine besondere Eigenschaft der Superellipsen beschrieben werden: An den vier Schnittpunkten mit den Koordinatenachsen ist die Krümmung k = 0 . Zum Beweis verwendet man die Parameterdarstellung der Superellipse, mit dem Winkel t als Parameter:
Bei dieser Parameterdarstellung ist nur die Formel für den ersten Quadranten angegeben worden, was wegen der Symmetrie der Kurve für die Aussage über die Krümmung ausreicht. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass im 2. und 3. Quadranten cosp t durch -(-cos t)p und im 3. und 4. Quadranten sinp t durch -(-sin t)p ersetzt wird.
Die Ellipse hat diese Krümmungseigenschaft nicht ! In allen Punkten der Ellipse ist die Krümmung positiv. Anschaulich vorstellen kann man sich das so: Wenn man die Kurve im Gegenuhrzeigersinn mit dem Auto durchfährt, bleibt bei der Ellipse das Lenkrad immer nach links eingeschlagen; bei der Superellipse dagegen steht das Lenkrad an den vier Scheitelpunkten auf "geradeaus".
Die Nullkrümmung in den Scheitelpunkten der Superellipse hat eine interessante Folgerung. Diese Eigenschaft gilt nämlich ebenso für die entsprechenden dreidimensionalen Gebilde, die Superellipsoiden. Das bedeutet, dass diese Körper auf allen ihrer sechs Scheitelpunkte in stabilem Gleichgewicht stehen (im Gegensatz zu Ellipsoiden). Piet Hein hat Rotations-Superellipsoiden hergestellt, also Körper, die durch Drehung einer Superellipse um eine Achse entstehen. Dies sind keine Superellipsoiden im eigentlichen Sinne, da der Querschnitt senkrecht zur Drehachse ein Kreis ist (aber eben kein Superkreis). Piet Heins Modelle haben die längere der Achsen zur Drehachse, so dass der Körper aufrecht steht, wenn man ihn auf einen seiner beiden Scheitelpunkte stellt. Auch hier gilt wegen der Nullkrümmung wieder: Ein Rotations-Superellipsoid steht in stabilem Gleichgewicht (nächstes Bild), während ein Rotationsellipsoid umfällt.
Superellipsoiden erfüllen somit die Stabilitätsforderung an das "Ei des Kolumbus". Passenderweise hat dieses Ei auch die Bedeutung "überraschende Lösung".
Publiziert 2007-02-12 Stand 2007-02-04